Sachsens Lehrer vor dem Kollaps

SCHULE Alarm im vermeintlichen Bildungsmusterland Sachsen: Der jahrelang ignorierte Lehrermangel wird immer dramatischer spürbar. Verbände warnen vor dem „Crash“

Auf der Bildungsdemo spielt die Lehrerband „Teilzeit“ den Song „Highway to Hell“

AUS DRESDEN MICHAL BARTSCH

In Sachsen wirft jetzt schon der 4. September seine Schatten voraus. Dann beginnt das neue Schuljahr. Von einem drohenden „Crash“ spricht sogar der sonst eher gemäßigte Philologen-Verbandsvorsitzende Frank Haubitz und davon, dass Sachsen „mit den Schulen an die Wand fahren könnte“. Im Bildungsmusterland schrillen die Alarmglocken ob des Lehrermangels und der sich verschärfenden Unterrichtsbedingungen.

Auch die unsichere, erst im April neu berufene Kultusministerin Brunhild Kurth wollte zuletzt vor Journalisten einen geordneten Schulbeginn im Herbst nicht garantieren. Tags darauf korrigierte sie sich im Landtag. Kurth löste im April Roland Wöller ab, der im Streit mit Teilen der Regierung und der CDU-FDP-Koalition um das Lehrerpersonal zurückgetreten war. Spät war Wöller aufgewacht, obschon Prognosen seit Jahren vor der drohenden Überalterung der sächsischen Lehrerschaft warnen.

Mit einem Sofortprogramm hat die Staatsregierung im April ihr so genanntes Bildungspaket vom Dezember des Vorjahres aufgestockt. Doch die Lehrerverbände sprechen von Tricks und rechnen vor, dass trotz der geplanten 655 Neueinstellungen im September unter dem Strich weniger Lehrer bei steigenden Schülerzahlen zur Verfügung stehen. 583 Stellen würden zuvor laut Haushaltplan abgebaut, und die aus dem Ganztagsprogramm umzusetzenden Lehrer seien bereits jetzt als Unterrichtsaushilfe voll gefordert.

Die Hiobsbotschaften betreffen inzwischen alle Schularten. Als Leiter eines Dresdner Gymnasiums muss Sachsens Oberphilologe Haubitz nun Eltern erklären, warum er aus fünf achten Klassen vier machen muss, damit im kommenden Schuljahr der Unterricht gewährleistet werden kann. Bei sächsischen Grundschulen hat man sich fast schon daran gewöhnt, permanent am Limit zu fahren. „Das funktioniert nur noch dank Freiarbeit und Selbstbeschäftigung“, sagt eine Klassenleiterin.

In zuvor nicht gekannter Einigkeit treten nun die Bildungsgewerkschaft GEW, der Lehrerverband, der Philologenverband und der Verband der Berufsschullehrer gemeinsam auf. „Die Qualität des sächsischen Bildungssystems, um das uns manche beneiden, wird aufs Spiel gesetzt“, warnte Lehrerverbands-Landeschef Jens Weichelt bei einer Demonstration von 5.000 Lehrern vor dem Sächsischen Landtag. „Highway to Hell“ spielte die Lehrerband „Teilzeit“. Statt des „Bildungspäckchens“ der Regierung schnürten die Demonstranten symbolisch ein neues großes Paket.

Zu ihren Forderungen gehören neben neuen Lehrerstellen und besseren Bedingungen für Referendare auch Erleichterungen für die im Durchschnitt über 50 Jahre alte Lehrerschaft. Nichtverbeamtung und die geringere Vergütung in Sachsen seien Haupthindernisse, um junge Lehrer in Sachsen zu halten oder wiederzugewinnen, kritisierten mehrere Redner. Außerdem müsste mit Altersteilzeit ein „Rentenübergang in Würde“ gewährleistet werden.

Zu allem Überfluss soll nun auch noch ein Großteil der vollzeitschulischen Ausbildungsgänge an Berufsfachschulen geschlossen und durch Angebote im betrieblichen Dualen System ersetzt werden. Mit Spannung wird die Haushaltsklausur des Kabinetts Anfang Juli erwartet. Kommen keine befriedigenden Lösungen, kündigten die Lehrer einen heißen Herbst an.