„Sie wissen nicht, was Sie machen!“

PROZESS Der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König muss sich vor Gericht wegen „besonders schweren Landfriedensbruchs“ verteidigen. Doch die Aussagen der Polizei sind widersprüchlich

DRESDEN taz | Lothar König verfolgt das Geschehen im Gerichtssaal zumeist still, manchmal rollt er genervt mit dem Stuhl zurück gegen die Wand. Plötzlich kann er sich aber nicht mehr halten. „Frau Staatsanwältin“, ruft er und steht auf. „Da stehen vier Jahre auf dem Spiel, eine ganze Berufskarriere“, sagt er. „Sie wissen nicht, was Sie machen!“

Eben haben König und seine Verteidiger erfahren, dass in den Akten ein Protokoll fehlt – nicht zum ersten Mal in diesem Verfahren. Königs Anwalt Johannes Eisenberg glaubt, dass das Absicht der Staatsanwaltschaft ist.

König, Stadtjugendpfarrer von Jena, muss sich wegen „besonders schweren Landfriedensbruchs“ seit April vor dem Amtsgericht Dresden verantworten. Er soll vor zwei Jahren bei der Anti-Nazi-Demo in Dresden Gegendemonstranten zu Gewalt gegen Polizisten angestachelt haben. Am Dienstag und Mittwoch dieser Woche ging es um das Geschehen am Nachmittag des 19. Februar 2011. Als Zeugen hat die Staatsanwaltschaft Polizisten aufzubieten. Ihre Aussagen belasten König schwer. Er soll etwa einem anderen Mann seine Mikrofonanlage zur Verfügung gestellt haben, damit dieser rufen konnte: „Deckt die Bullen mit Steinen ein!“

Alexander E. ist Leiter einer Einsatzhundertschaft der Bundespolizei. Sie waren mit ihren Kleinbussen schon auf dem Weg zurück ins Hotel, als sich ihr Weg mit dem von Lothar Königs blauem VW-Bus kreuzte. Vor Gericht wiederholt E: Er sei sich sicher, die Aussage so gehört zu haben. Die Verteidigung präsentiert nun aber Polizeivideos und Videos, die die JG Stadtmitte aufgenommen hat. Die Aufnahmen passen nicht zu den Aussagen der Polizisten. Zur Zeit, als die Durchsage gemacht worden sein soll, ist der VW-Bus längst an E.s Polizeiauto vorbei. Aus dem Lautsprecher kommt Musik. Daran können sich angeblich weder E. noch seine Kollegen erinnern. Auf dem Video ebenso zu sehen: Als König angeblich das Polizeiauto rammen will, weicht er einer Person auf der Straße aus. Vor Gericht drängt sich ein Verdacht auf: Haben sich die Polizisten abgesprochen? Im März 2011 sprach E. von „einem Lautsprecher oder einem Megafon“, von dem der Gewaltaufruf gekommen sein soll. Ein halbes Jahr später ist er sich sicher, dass er aus Königs Lautsprecher kam.

Alexander E. sagt offen, er habe sich mit Kollegen zusammengesetzt und „Erinnerungen zusammengetragen“. Einen Polizisten ertappen die Verteidiger bei einer Lüge. Erst behauptet er, er habe seine dienstliche Erklärung verfasst. Dann zeigt sich: Sie stimmt en gros mit der überein, die zuvor ein Kollege verfasste.

Laut Anklageschrift soll König eine gewaltbereite Menge angeführt haben. Davon ist in den Videos nichts zu sehen. Zwar kann man erkennen, dass vereinzelt Gegenstände auf Polizeiautos geworfen werde, aber der blaue VW-Bus ist da nicht in der Nähe. Auch von der Menge von vermummten Demonstranten gibt es: keine Spur. SEBASTIAN ERB