Der Mörder soll weg

JUSTIZ Schleswig-Holstein will alle Gesetze ändern, die von NS-Ideologie geprägt sind, und plant dazu eine Initiative im Bundesrat. Justizministerin Spoorendonk stellt auch den Begriff „lebenslänglich“ in Frage

KIEL taz | Wer ist ein Mörder? Das Gesetz antwortet so: Mörder ist, wer aus niederen Beweggründen, Habgier oder besonders grausam einen Menschen tötet. So steht es im Strafgesetzbuch. Wer „tötet, ohne Mörder zu sein“, begeht dagegen Totschlag.

„Dahinter steht der Gedanke, dass es geborene Mörder gibt, deren Wesen durch die Tat sichtbar wird “, sagt Anke Spoorendonk, Justizministerin in Schleswig-Holstein. „Das spiegelt NS-Ideologie wider.“

Tatsächlich stammt der Wortlaut der Paragrafen 211 und 212 des Strafgesetzbuchs aus dem Jahr 1941. Formuliert hat sie Roland Freisler, Präsident des Volksgerichtshofes und Staatssekretär im Reichsjustizministerium. Grund genug, das Gesetz so zu ändern, dass die Tat und nicht mehr der Täter beschrieben wird, meint Spoorendonk. Die Politikerin der Minderheitenpartei SSW will dazu eine Bundesratsinitiative starten. Heute wird sie ihren Vorschlag bei der Justizministerkonferenz vorstellen – Ergebnis offen.

„Es heißt oft: Warum wollt ihr das ändern, es läuft doch in der Praxis“, erläuterte Spoorendonk gestern in Kiel. „Und klar ist, dass die Paragrafen heute nicht mehr im Sinne der geistigen Väter angewendet werden.“ Dennoch sei es aus Gründen der historischen Verantwortung geboten, den Wortlaut an dieser zentralen Stelle im Gesetz zu ändern.

In der Fassung, die das Land vorschlägt, würde das Wort „Mörder“ nicht mehr auftauchen, stattdessen würden nur die Tat und die Motive genannt werden. Die Bundesratsinitiative will Spoorendonk, die selbst keine Juristin ist, auf jeden Fall starten, selbst wenn sie heute in der Fachkonferenz keine Mehrheit erhält. „Auch wenn es keinen Spaß macht, mit fliegenden Fahnen unterzugehen“, sagt sie. „Aber mir ist wichtig, die Debatte neu zu eröffnen.“

Schleswig-Holstein überprüft zurzeit alle Gesetze auf NS-Bezüge. Die Mord- und Totschlagsparagrafen zu überarbeiten wird schon seit Jahren diskutiert. Spoorendonk aber denkt über eine reine Änderung der Texte hinaus: Zurzeit wird Mord laut dem Gesetz mit „lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft“. Doch die meisten verurteilten Mörder bleiben zwar mindestens 15 Jahre, aber selten bis ans Lebensende hinter Gittern. Auch der Begriff „lebenslänglich“ sei nicht mehr zeitgemäß, findet die Ministerin. Reden ließe sich auch über Worte wie „heimtückisch“ oder die „niederen Beweggründe“, die den Mord vom Totschlag trennen. ESTHER GEISSLINGER

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