Handygate stört die schwarz-roten Pläne

KOALITION II Union und SPD waren sich zur Datenspeicherung fast einig. Dann kam die NSA

Die Einführung einer anlasslosen Massenüberwachung ist kaum zu vermitteln

BERLIN taz | Die Koalition will sechs Monate speichern, welche Nummern Kanzlerin Merkel anruft und an welchen Orten sie sich mit ihrem Handy bewegt. Eine verrückte Idee? Die Koalition findet das nicht. Das Projekt ist altbekannt. Es nennt sich Vorratsdatenspeicherung und soll nicht nur Merkel betreffen, sondern die ganze Bevölkerung.

Seit 2006 sind alle EU-Staaten verpflichtet, eine Vorratsdatenspeicherung einzuführen, damit die Polizei im Verdachtsfall die Daten anfordern kann. Telefonfirmen müssen mindestens sechs Monate speichern, wer wen wann und wo angerufen hat. Internetfirmen müssen die Verkehrsdaten der E-Mails speichern und wer wann mit welcher IP-Adresse online ging.

Die letzte Große Koalition hatte die Vorratsdatenspeicherung 2008 zunächst eingeführt. Doch 2010 kippte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz und forderte Nachbesserungen. Seitdem stritt Schwarz-Gelb über die Wiedereinführung.

Mit diesem Streit sollte es jetzt vorbei sein. Denn auch die SPD befürwortet die Vorratsdatenspeicherung. Doch jetzt, nach der NSA-Affäre, hakt es doch.

Denn es wird schwer zu vermitteln sein, warum man sich über die Massenüberwachung der Amerikaner empört und selbst eine anlasslose Massenüberwachung einführt.

Wohl deshalb kommen jetzt Vorschläge aus beiden künftigen Regierungsfraktionen, die Vorratsdatenspeicherung nur abgemildert einzuführen. So schlug SPD-Innenpolitiker Thomas Oppermann vor, die Nutzung der Daten auf „schwere Verbrechen“ zu begrenzen. CSU-Chef Horst Seehofer meinte, dass eine dreimonatige Speicherung genüge.

Damit laufen sie aber offene Türen ein. Das Bundesverfassungsgericht hat ohnehin gefordert, dass die gespeicherten Daten nur zum Schutz „überragend wichtiger Rechtsgüter“ eingesetzt werden, etwa zur Verfolgung „schwerer Straftaten“. Und der Europäische Gerichtshof, der im Juli über die EU-Richtlinie verhandelte, wird wohl eine Absenkung der Mindestspeicherpflicht auf drei Monate fordern.

Gegen die vermeintlichen Kompromissvorschläge von Union und SPD spricht aber vor allem, dass sie an der Speicherung von Milliarden privater Datensätze nichts ändern. Hauptproblem ist nicht die Nutzung der Daten im polizeilichen Verdachtsfall, sondern die vorsorgliche Speicherung von Daten, die die Polizei nie brauchen wird.

So hat die Polizei in Österreich von April 2012 bis März 2013 nur 326-mal zwangsgespeicherte Telefon- oder Internetdaten angefordert. Nur in 56 Fällen konnten die Daten wesentlich zur Aufklärung beigetragen. Dabei ging es um 16 Diebstähle und 12 Drogendelikte, aber keinen einzigen Fall von Terrorismus. CHRISTIAN RATH