Washington spioniert – Karlsruhe resigniert

ÜBERWACHUNG Bisher gibt es keine einzige Verfassungsbeschwerde zum NSA-Skandal

FREIBURG taz | Am Bundesverfassungsgericht ist der NSA-Skandal bisher noch nicht angekommen. Klagen gegen die NSA selbst wären zwar nicht möglich, da ein US-Geheimdienst nicht an das deutsche Grundgesetz gebunden ist. Aber es gibt bisher auch noch keine einzige Verfassungsbeschwerde, die von der Bundesregierung verlangt, die Bevölkerung vor der Ausspähung durch die NSA zu schützen.

Vermutlich brächte eine solche Klage wohl auch wenig konkreten Ertrag. Erstaunlich ist aber, dass diesmal gar niemand auf die Idee kommt, das Verfassungsgericht um Hilfe zu bitten. Es scheint ein Ausdruck weitverbreiteter Resignation zu sein, dass selbst die Verfassungsrichter ihren Nimbus als Träger der letzten Hoffnung verloren haben. Dabei ist man in Karlsruhe durchaus sensibel gegenüber den Geheimdienstpraktiken der USA. Schon 2003, also vor mehr als zehn Jahren, schrieb der ehemalige Verfassungsrichter Jürgen Kühling im Grundrechtereport einen Beitrag über „das Ende der Privatheit“. Dort erklärte er, das Fernmeldegeheimnis dürfe man „getrost als Totalverlust abschreiben, nachdem inzwischen buchstäblich jedes Telefonat abgehört wird“. Verantwortlich dafür seien nur in geringem Maße die deutschen Behörden, sondern vor allem „fremde Geheimdienste“, so Kühling in damals ungewöhnlicher Klarsicht. Und er folgerte: „Der Staat muss seine Bürger vor den Abhörpraktiken der ausländischen Geheimdienste schützen.“ Konkrete Maßnahmen nannte aber auch Kühling damals nicht. Vor allem ein aktuelles Verfahren könnte den Verfassungsrichtern nun aber Anlass zu Bemerkungen über die US-Geheimdienstpraktiken geben. Es geht um eine Klage des Bürgerrechtlers Patrick Breyer, der inzwischen für die Piraten im Landtag von Schleswig-Holstein sitzt. Schon 2008 erhob er eine Verfassungsbeschwerde gegen das Cybercrime-Abkommen des Europarates, das vom Bundestag ratifiziert wurde. Der Vertrag verpflichtet Deutschland zur Zusammenarbeit mit 25 Staaten, darunter den USA. Die Staaten wollen sich bei der Strafverfolgung helfen, etwa durch die Weitergabe von Telekommunikationsdaten. Breyer will jedoch erreichen, dass das Gericht solche „Zusammenarbeit mit Staaten ohne gleichwertigen Grundrechtsschutz verbietet“. Breyer hofft auf ein „Grundsatzurteil“ und hat inzwischen die Karlsruher Richter höflich zur Eile ermahnt. „Vor dem Hintergrund des internationalen Abhörskandals ist die Klärung der verfassungsrechtlichen Grenzen des internationalen Datenaustauschs eilbedürftig“, schrieb er jüngst. Auf Nachfrage der taz erklärte Karlsruhe inzwischen, es werde in dem Verfahren „eine Entscheidung im Laufe des Jahres 2014 angestrebt“.

CHRISTIAN RATH