Anfänge einer Protestpartei

PÄDOPHILIE Was stand im Wahlprogramm von 1982 zu den Themen „Schwule und Lesben“ und „Kinder“? In Hamburg diskutierten die Grünen ihre Geschichte

HAMBURG taz | Die Hamburger Grünen schieben die Aufklärung der Pädophilie-Debatte in ihrer eigenen Partei an. Am Mittwochabend lud die Fraktion zu einer Diskussionsveranstaltung, um über den Umgang der Partei mit pädophilen Tätern in ihrer Gründungszeit aufzuklären.

Eingeladen war der Politikwissenschaftler Stephan Klecha, der im Auftrag der Grünen gemeinsam mit Franz Walter die Pädophilie-Debatte untersucht. Ihr Zwischenbericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Grünen in den 1980er Jahren „einen Resonanzboden für Anliegen von Minderheiten und Randgruppen verschiedener Couleur“ darstellten. Darunter waren Gruppen wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule, Transsexuelle und Päderasten, kurz SchwuP, die ihre Positionen in die Partei trugen. Etwa die Streichung des Paragrafen 176 des Strafgesetzbuches, der Sexualität von Erwachsenen mit Kindern unter 14 Jahren unter Strafe stellt.

Bei eigenen Recherchen fanden die Hamburger Grünen diese Positionen im Kapitel „Schwule und Lesben“ des Programms für die Bürgerschaftswahl 1982. Und im Kapitel „Kinder“ heißt es: „Wir treten ein für eine freie, selbstbestimmte, ungestörte Entfaltung der kindlichen Sexualität. Jede Form von Schmusen, Kuscheln, Streicheln oder Liebemachen hat den positiven Effekt, dass Kinder einen spontanen Umgang mit ihrer Lust lernen, ein unbefangenes Verhältnis zum eigenen Körper und zu dem anderer bekommen.“

Hamburgs Grünen-Chefin Katharina Fegebank und ihr Stellvertreter Manuel Sarrazin wollen offensiv mit dieser Vergangenheit umgehen. Deshalb haben sie eigene Recherchen angeschoben. Marco Carini, taz-Redakteur, saß am Mittwoch als Zeitzeuge auf dem Podium. Er trat 1980 den Hamburger Grünen bei und gehörte ab 1981 dem Landesvorstand an. 1982 kandidierte er für die Grün-Alternativen Liste (GAL) trotz des umstrittenen Wahlprogramms. Carini sieht heute die damalige Debatte als notwendig an, einen grünen Konsens für die Unterstützung der Interessen von Päderasten habe es aber nicht gegeben. Dafür spräche die Formulierung im Anschluss an die Passage im 82er Wahlprogramm, in der die „gewohnte Erwachsenensexualität“ zwischen Kindern und Erwachsenen als „Kindesmisshandlung“ gefasst wird.

Die Grünen verstanden sich als Protestpartei, die gegen das repressive Sexualsystem politisch agierte, gerade in Hamburg, erklärte Klecha. Darunter verstanden viele Mitglieder auch tabulose Sexualität ohne Gesetze. Das war ein Nährboden für Pädophile und ihre Interessenvertreter. Diese waren ebenfalls bei der Debatte vertreten und meldeten sich auch zu Wort. Das Pädophilennetzwerk „Krumme 13“ hatte im Vorfeld zur Teilnahme aufgerufen.

Auf Bundesebene soll nun eine Kommission eingesetzt werden, sagte Manuel Sarrazin. Ihr Ziel: Mehr Aufklärung bei den Grünen und die Etablierung eines breiteren gesellschaftlichen Diskurses. FREDERIC ZAUELS