Heiteres Spionezählen in Berlin

INNENAUSSCHUSS Wie viele US-Spione gibt es in Deutschland? Die Abgeordneten erfahren keine genaue Zahl. Doch manche haben einen bösen Verdacht

„Das ist nicht gerade die hohe Kunst der Spionageabwehr“

KONSTANTIN VON NOTZ, GRÜNE

AUS BERLIN ULRICH SCHULTE

Der Abgeordnete Konstantin von Notz bemüht bei der Frage einfach mal den gesunden Menschenverstand. Gibt es mehr Spione der Amerikaner in Deutschland als die zwei Fälle, die öffentlich wurden? „Es wäre ja ein Zufall ohne Ende, wenn ausgerechnet die beiden einzigen Spione auffliegen, die es gibt. Meine Arbeitsthese ist: Es gibt mehr.“

Der Grünen-Innenpolitiker steht am Dienstagnachmittag in einem Bundestagsgebäude vor Mikrofonen, während nur ein paar hundert Meter weiter Tausende die Fußballnationalmannschaft am Brandenburger Tor bejubeln. Die Abgeordneten des Innenausschusses befragten in einer Sondersitzung Vertreter der Regierung und der Geheimdienste, um mehr über die zwei mutmaßlichen Spionagefälle zu erfahren, die das Verteidigungsministerium und den Bundesnachrichtendienst betreffen.

Genaues weiß man bisher nicht über die Zahl der in Deutschland agierenden US-Spione. Die Bild am Sonntag hatte unter Berufung auf amerikanische Kreise berichtet, allein der US-Geheimdienst CIA habe mehr als ein Dutzend Regierungsmitarbeiter in Deutschland als Quellen geführt. Im Visier seien dabei die Ministerien für Verteidigung, Wirtschaft, Inneres und Entwicklungshilfe. Dazu habe es von den deutschen Geheimdienstvertretern weder eine Bestätigung noch ein Dementi gegeben, sagte von Notz. Ähnlich äußerte sich der Linkspartei-Innenexperte Jan Korte.

Die Abgeordneten der Koalition beschlossen zu Beginn der Sitzung, diese als geheim einzustufen. Entsprechend mussten sich die Abgeordneten bei ihren Einschätzungen zurückhalten. Der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer sagte, beim BND-Fall sei die Sachlage klar. Ein BND-Mitarbeiter habe sich „hochkriminell“ verhalten. Der Mann hat laut Medienberichten gestanden, innerhalb von zwei Jahren 218 Dokumente an US-Geheimdienste verkauft zu haben. Der Verfassungsschutz kam ihm auf die Spur, weil er eine E-Mail abfing, in der der Mann auch dem russischen Generalkonsulat Dokumente angeboten hatte.

Bei dem zweiten Fall gibt es laut Mayer „noch keine klaren Indizien, ob eine Spionagetätigkeit im Verteidigungsministerium vorliegt oder nicht“. Ein Mitarbeiter des Ministeriums soll ebenfalls an die Amerikaner Berichte geliefert haben.

Ob die Gefahrenabwehr Deutschlands gut funktioniert, wird von Koalition und Opposition unterschiedlich eingeschätzt. „Die Eigensicherung der Dienste hat in beiden Fällen gut funktioniert“, sagte CSU-Mann Mayer. Der Grüne von Notz betonte hingegen, dass in beiden Fällen deutsche Dienste die Amerikaner durch Anfragen und Bitten um Informationen gewarnt hätten. „Das ist nicht gerade die hohe Kunst der Spionageabwehr.“

Der US-Diplomat, den die Bundesregierung zur Ausreise aufgefordert hatte, befindet sich offensichtlich noch in Deutschland. Mayer lobte die „klare Reaktion“ der Bundesregierung. Der Repräsentant, der die Arbeit der Geheimdienste in der US-Botschaft koordiniert, solle das Land „demnächst“ verlassen.