Grüne für Rehabilitierung von §-175-Opfern

SCHWULE Rechts- und Innenpolitiker fordern in einem Aufruf Wiedergutmachung für staatliche Verfolgung. Vor 45 Jahren wurde der Paragraf liberalisiert, erst 1994 völlig abgeschafft

BERLIN epd/taz | Zum 45. Jahrestag der Liberalisierung des sogenannten Schwulenparagrafen fordern die Grünen, verurteilte Homosexuelle zu rehabilitieren und zu entschädigen. „Die strafrechtliche Verfolgung von Homosexualität war von Anfang an grundgesetzwidrig“, schreiben die Rechts- und Innenpolitiker der Grünen in einem Aufruf, der der taz vorliegt. 45 Jahre nachdem am 1. September 1969 der Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs in der Bundesrepublik erstmals liberalisiert wurde, müsse der Gesetzgeber nun endlich jene rehabilitieren, die auf Grundlage der Strafvorschrift verurteilt wurden.

Der Paragraf 175 hatte sexuelle Handlungen unter Personen männlichen Geschlechts unter Strafe gestellt. 1969 wurde er liberalisiert. Bis 1994 blieben noch homosexuelle Prostitution und Sex mit unter 21-Jährigen strafbar; dann wurde der Paragraf 175 ersatzlos gestrichen. In der DDR wurden gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen unter Erwachsenen seit Ende der 50er Jahre nicht mehr strafrechtlich verfolgt.

Bisher sind nur Homosexuelle rehabilitiert worden, die unter dem NS-Regime verurteilt wurden. Noch 1962 waren mehr als 3.000 Homosexuelle aufgrund des Paragraphen bestraft worden, 1969 gab es fast 900 Urteile. 1994 wurden 44 Homosexuelle für schuldig befunden.

Rechtsprechung und Gesetzgebung hatten den Paragrafen 175 stets mit heute fremd wirkenden Begründungen gerechtfertigt. So wies das Bundesverfassungsgericht 1957 eine Klage zweier Männer zurück: Die unterschiedliche Behandlung von Schwulen und Lesben in § 175 sei durch das „hemmungslose Sexualbedürfnis“ des homosexuellen Mannes gerechtfertigt. „Die sittlichen Anschauungen des Volkes“ dürften so geschützt werden. Auch 1962 rechtfertigte noch ein Entwurf der Adenauer-Regierung den Paragrafen: „Ausgeprägter als in anderen Bereichen hat die Rechtsordnung gegenüber der männlichen Homosexualität die Aufgabe, durch die sittenbildende Kraft des Strafgesetzes einen Damm gegen die Ausbreitung eines lasterhaften Treibens zu errichten, das, wenn es um sich griffe, eine Gefahr für eine gesunde und natürliche Lebensordnung im Volke bedeuten würde.“

Im Oktober 2012 habe der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, „Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten“ zu ergreifen, heißt es weiter in dem Grünen-Aufruf. „Es ist ein nicht hinnehmbarer Skandal, dass im demokratischen Deutschland weiterhin Männer mit dem Stigma leben müssen, vorbestraft zu sein, nur weil sie schwul sind.“ Der Rechtsstaat beweise seine Stärke dadurch, „dass er Fehler der Vergangenheit in Gesetzgebung und Rechtsprechung korrigiert und den Opfern seiner Irrtümer Recht widerfahren lässt“.

Namentlich haben den Aufruf aus der grünen Bundestagsfraktion der innenpolitische Sprecher Volker Beck, die rechtspolitische Sprecherin Katja Keul sowie 30 Landtagsabgeordnete unterzeichnet. MARE