Ein Fantasy-Roman, kein Spionagethriller

ÜBERWACHUNG Es gab kein „Angebot“ der USA für ein No Spy-Abkommen und keine „Zusicherungen“ für dessen Inhalt. Die Bundesregierung hat dies nur erfunden. Das zeigt ein nun bekannt gewordener E-Mail-Wechsel

„Jeder hier auf unserer Seite hat das die ganze Zeit über klar zum Ausdruck gebracht“

VON CHRISTIAN RATH

BERLIN taz | Die Bundesregierung hat die deutsche Öffentlichkeit nach den Snowden-Enthüllungen monatelang getäuscht. Im Bundestagswahlkampf 2013 wurde behauptet, dass die USA ein No-Spy-Abkommen „angeboten“ und bereits die wesentlichen Inhalte „zugesichert“ hätten. Das war falsch, wie jetzt Recherchen von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR ergeben haben. Es gab nur den Wunsch der deutschen Seite und eine vage Idee des US-Geheimdienst-Koordinators James Clapper.

1. Akt: Ende Juni 2013 wird durch den ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden die weltweite Massenüberwachung des US-Geheimdienstes enthüllt. Die deutsche Öffentlichkeit ist stark beunruhigt. Christoph Heusgen, außenpolitischer Chefberater von Angela Merkel, versucht ab dem 18. Juli vom Weißen Haus eine Zusicherung zu bekommen, „dass deutsches Recht auf deutschem Boden respektiert wird“. Ansprechpartnerin ist Karen Donfried, Chefstrategin für Europafragen. Sie gibt kein Signal, dass es eine solche Erklärung geben könnte.

2. Akt: Am 5. August 2013 treffen hochrangige deutsche Sicherheitsbeamte, darunter BND-Chef Gerhard Schindler, auf US-Pendants. Dabei brachte James Clapper, der Koordinator der US-Geheimdienste, die Idee auf, man könne in einer Arbeitsgruppe ein Abkommen aushandeln, wonach sich die NSA in Deutschland an deutsche Gesetze und Bestimmungen halten müsse. Hierfür habe er aber keine Prokura, denn das Ganze sei eine politische Frage.

3. Akt: Die Bundesregierung präsentiert Clappers Idee als verbindliche US-Position. Am 12. August 2013 sagt der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU), die US-Seite habe „den Abschluss eines No-Spy-Abkommens angeboten“. Am 14. August beschließt das Bundeskabinett den Bericht „Maßnahmen für einen besseren Schutz der Privatsphäre“. Darin heißt es: „Zwischenzeitlich hat die US-Seite gegenüber Deutschland dargelegt, dass sie in Übereinstimmung mit deutschem und amerikanischem Recht handle.“ Und etwas später heißt es: „Des Weiteren ist geplant, mit den Vereinigten Staaten eine Vereinbarung zu schließen, deren Zusicherungen mündlich bereits mit der US-Seite verabredet worden sind: Keine Verletzung der jeweiligen nationalen Interessen. Keine gegenseitige Spionage. Keine wirtschaftsbezogene Ausspähung. Keine Verletzung des jeweiligen nationalen Rechts.“ Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte der Rheinischen Post: „Wir haben die Zusage, dass ein solches Abkommen bald geschlossen werden kann.“

4. Akt: Weil die deutsche Presse von der US-Seite keine Bestätigung bekommt, mailt Heusgen noch am Tag des Kabinettsbeschlusses erneut an Karen Donfried, es wäre „großartig, wenn Sie irgendwie öffentlich den Beginn solcher Gespräche/Verhandlungen loben könnten“. Es gibt jedoch keine derartige Unterstützung von US-Seite. Vielmehr kommt aus der Berliner US-Botschaft die Rückmeldung: „Wir sollten nichts sagen, was die Erklärung möglicher neuer Enthüllungen und den Umgang damit noch schwieriger macht.“

5. Akt: Am 17. Oktober 2013 berichtet der Spiegel, dass die NSA das Handy von Kanzlerin Angela Merkel ausgespäht hat. Am 23. Oktober telefoniert Merkel deshalb mit US-Präsident Barack Obama. Dieser sichert zu, dass sie persönlich jedenfalls nicht mehr ausgespäht wird. Darüber hinausgehende Zusicherungen werden nach wie vor verweigert.

6. Akt: Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD heißt es im November 2013: „Um Vertrauen wiederherzustellen, werden wir ein rechtlich verbindliches Abkommen zum Schutz vor Spionage verhandeln.“

7. Akt: Im Dezember 2013 und Januar 2014 wechseln Heusgen und Donfried noch einige Mails. Dabei schreibt sie am 7. Januar 2014: „Dies wird kein No-Spy-Abkommen werden, und ich glaube, jeder hier auf unserer Seite hat das auch fortwährend die ganze Zeit über klar zum Ausdruck gebracht.“ Heusgen antwortet einen Tag später: „Wir haben realisiert, dass wir dieses Ziel nicht erreichen werden.“

8. Akt: Gegenüber der SZ wollte Heusgen nun nicht Stellung nehmen, weil „die Verhandlungen zwischen BND und NSA für eine Kooperationsvereinbarung“ weiter andauerten.

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