„Der Taktstock ersetzt nie das Charisma“

Die ältesten sind aus Elfenbein und Ebenholz und wiegen ziemlich viel: 61 Exponate der Taktstock-Sammlung des polnischen Dirigenten Tadeusz Strugala sind derzeit in Lübeck zu sehen. Er sammelt die wertvollen Stücke seit über 40 Jahren. Ein Gespräch über das Werkzeug der Dirigenten

„Ein Taktstock entsprach immer der kunsthandwerklichen Mode seiner Zeit. Er entsprach dem Stil der Kleidung und des Mobiliars“

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Herr Strugala, warum haben Sie angefangen, Taktstöcke zu sammeln?

Tadeusz Strugala: Das war Zufall: Als ich in Wroclaw, dem früheren Breslau, studierte, rief mich der Sohn einer Antiquitätenhändlerin an und sagte, sie hätten da einen undefinierbaren Gegenstand. Ob ich mir das mal ansehen könnte. Es war ein Taktstock aus Elfenbein. Ich kaufte ihn, aber damit hatte ich natürlich noch keine Sammlung. Die begann mit dem zweiten Taktstock, den ich später in Krakau kaufte. Seitdem habe ich nicht mehr aufgehört. Inzwischen sind es fast 70, von denen 61 in Lübeck ausgestellt sind.

Was fasziniert Sie daran? Sind nicht alle Taktstöcke gleich?

Natürlich nicht. Jeder Taktstock sieht anders aus. Außerdem hat sich das Äußere der Taktstöcke enorm verändert: In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts, als die ersten Taktstöcke hergestellt wurden, bestanden sie aus Elfenbein oder Ebenholz und waren mit Perlmutt, Silber, Gold oder Edelsteinen verziert. Manche Taktstöcke wurden nie benutzt, sondern waren einfach wertvolle Geschenke an Dirigenten. Aber es gab auch Ebenholz- und Elfenbein-Taktstöcke, die wirklich benutzt wurden.

Die wogen aber wohl einiges.

Das stimmt, manche der alten Taktstöcke – zum Beispiel der älteste meiner Sammlung von 1849 – sind sehr schwer. Der Rundgang durch die Ausstellung verdeutlicht deshalb nicht nur die Entwicklung des Taktstocks, sondern auch die der Dirigier-Kunst. Denn mit den so schweren Stöcken kann man wirklich nur den Takt schlagen. Die heutigen Stäbe aus Holz oder Fiberglas lassen mehr Spielraum. Sie sind leicht zu führen und eine echte Verlängerung der Hände. Mit ihnen kann man wesentlich filigraner arbeiten.

Wenn die schweren Stöcke so unpraktisch waren: Warum hat man die damals nicht schon leichter gebaut?

Auf die Idee ist man anscheinend nicht gekommen. Aber bevor der Taktstock erfunden wurde, hat man mit dem Geigenbogen dirigiert, und der ist auch nicht gerade leicht. Oder man hat mit Hilfe einer Papierrolle den Takt gezeigt. Oder aber mit den bloßen Händen. Meistens hat man allerdings irgendeinen Gegenstand zur Verlängerung der Hand benutzt. Wobei die alten Taktstöcke schwarz waren und nur an den Enden weiß. Denn damals trugen die Dirigenten helle Anzüge, von denen sich der Stock absetzen sollte. Heute tragen sie einen Frack, also ist der Taktstock weiß. Aber das ist nur eine Randerscheinung.

Seit wann ersetzen die leichten Taktstöcke die schweren?

Das ist schwer zu sagen. Aber natürlich entsprach ein Taktstock immer der kunsthandwerklichen Mode seiner Zeit. Er entsprach dem Stil der Kleidung und des Mobiliars. In Lübeck zeige ich zum Beispiel einen sehr schönen Taktstock des Jugendstils.

Welchen Taktstock benutzen Sie heute?

Er besteht aus Fiberglas, ist mittellang und hat am Ende eine Korkkugel, die ich in der Hand halte.

Wäre es nicht grundsätzlich leichter, ohne Taktstock zu dirigieren?

Einige wenige Dirigenten machen es so. Viele tun es, wenn sie Chöre dirigieren.

Heißt das, Chöre lassen sich leichter ohne Taktstock dirigieren?

Das ist natürlich individuell verschieden. Ich persönlich dirigiere zum Beispiel die 2. Sinfonie von Gustav Mahler grundsätzlich mit Taktstock. An der Stelle, an der der Chor a capella singt, lege ich ihn allerdings ab und dirigiere mit den Händen. Ich finde das angenehmer.

Warum? Stört sich der Chor an dem Stock?

Nein, aber man führt einen Chor anders als ein Orchester. Beim Orchesterdirigat schlägt man mit dem Taktstock das Metrum und den Rhythmus. Die andere, freie Hand zeigt alles übrige – Nuancen, Lautstärke und diese Dinge. Sie gestaltet die Interpretation. Das Chordirigat funktioniert für mich besser ohne Taktstock, weil man meist ohnehin nur vier Stimmen hat und weil es praktischer ist, mit beiden Händen dasselbe zu tun: den Takt zu schlagen und zu interpretieren.

Haben Sie im Laufe der Jahre den Taktstock gewechselt?

Ja. Denn als ich in den 50er Jahren anfing zu dirigieren, waren die Taktstöcke noch aus Holz. Später wurde das leichtere Fiberglas erfunden, und das nutze ich heute.

Wäre es nicht sinnvoll, für Werke unterschiedlicher Epochen verschieden schwere Taktstöcke zu verwenden? Für die Romantik den schweren und für die Avantgarde den leichten?

Nein, das hat keinen Sinn. Allerdings habe ich – für eine Sequenz von Roman Polanskis Film „Der Pianist“ einen der älteren Taktstöcke benutzt. Das hat mich endgültig davon überzeugt, dass die heute nicht mehr taugen. Es ist sehr mühsam, mit den alten Taktstöcken zu arbeiten. Die waren so schwer, dass man sie in der Mitte halten musste.

Und das moderne, federleichte Fiberglas: Zerbricht das nicht leicht?

Eher bohren Sie sich ein Loch in die Hand, als dass Sie diesen Taktstock zerbrechen. Das ist übrigens schon passiert. Ich kenne zwei Dirigenten, die sich mit ihrem Taktstock verletzt haben.

Macht es eigentlich einen Unterschied, ob Sie mit Taktstock vor einem Orchester stehen oder ohne? Ist es ein anderes Gefühl von Macht, wenn Sie den Stock haben?

Natürlich ist der Stock grundsätzlich ein Symbol der Macht – das Königszepter und der Bischofsstab zum Beispiel. Und ich will nicht leugnen, dass der Taktstock auch eine solche Rolle spielt. Aber er kann niemals das Charisma des Dirigenten ersetzen. Und wenn der Taktstock schon ein Symbol der Macht ist, dann nur insofern, als der Dirigent ihn nutzt, um die Musiker dazu zu bringen, so schön wie möglich zu spielen. Das ist eine sehr positive Form von Macht.

Der Dirigent kann sie auch missbrauchen. Indem er das Orchester zum Beispiel hetzt…

Das tut er nur, wenn er muss. Sonst wäre er kein guter Dirigent.

Aber Sie persönlich fühlen sich ohne Taktstock nicht nackt?

Nein. Aber ich bin daran gewöhnt, und der Taktstock ist für mich ein wichtiges Utensil. Ich kann auch ohne dirigieren, aber mit funktioniert es besser. Es ist nicht wegen der Macht. Die Macht muss dieselbe sein. Mit oder ohne Taktstock.

Die Ausstellung „Dirigentis Instrumentum – Taktstöcke aus der Sammlung von Monika und Tadeusz Strugala“ ist noch bis 2. 9. im Lübecker Museum Behnhaus Drägerhaus zu sehen.