Hier sind wir, Detlef Soost!

Ein Höhepunkt jagt den anderen: Die „Tales Of The Funky B-Boys & Break-Girls“ des Choreografen Christoph Winkler widmen sich in den Sophiensælen den Tänzen des Hiphop. Auch das Fernsehen spielt eine – allerdings etwas unterbelichtete – Rolle

VON JAN KEDVES

Sampleplatten gehören im Hiphop zum Standardwerkzeug eines jeden DJs. Auf ihnen reihen sich Schreie, Parolen und Hooklines aneinander, die aus Klassikern verschiedener Genres herausgeschnitten worden sind. Von einem versierten Scratch-Meister als Effekte eingesetzt, sorgen diese Samples in jedem DJ-Set für Hiphop-Flair. Ohne zugrundeliegendes Beatgerüst abgespielt, klingen Sampleplatten zwar eher absurd. Andererseits kann ihr im Sekundentakt unvermittelt ausgestoßenes „Fresh!“ und „Yeah, Boy!“ auch einen eigenen Reiz entwickeln.

Die neue Produktion des Berliner Choreografen Christoph Winkler in den Sophiensælen beschäftigt sich mit Tanzformen des Hiphop und scheint sich dabei zur Aufgabe zu machen, das Konzept der Sampleplatte – das pausenlose Abfeuern von Höhepunkten und Klischees – tänzerisch auf die Bühne zu übertragen. „Tales Of The Funky B-Boys & Break-Girls“ beginnt nicht nur mit einem „Funky“ von einer solchen Sampleplatte: Auch die Art und Weise, wie in dem Stück kurze, in keinem Zusammenhang miteinander stehende Episoden hart aneinandergecuttet werden, erinnert an das Format.

„Tales Of The Funky B-Boys & Break-Girls“ zeigt Tanzeinlagen, Monologe, Videoeinspielungen, Breakdance- und Bitch-Battles, auch ein paar Anekdoten aus dem medialen Verwertungsalltag kommen vor. Zwei der Akteure waren vorher als Bewerber in den Fernsehshows im Rennen, die zuletzt Bilder von Hiphop-Tanz in deutsche Wohnzimmer transportierten: Eugene „U-Gin“ Boateng wurde 2006 zum Gewinner des „Viva Dancestar“ gekürt, Yasemin Celikkan schaffte es bis ins Halbfinale von „You Can Dance“ auf Sat 1.

Doch verschafft den beiden ihre Bekanntheit auf der Bühne der Sophiensæle keinen Bonus. Kaum eine Kultur vertraut stärker auf den Mythos des „Keep it real“ wie Hiphop. Und wie „real“ die Darstellung von Hiphop-Tanz in den Medien ist, versuchen die sieben Darsteller zu ergründen. „Tales Of The Funky“ gerät daher nicht unbedingt arm an Paradoxien. Bereits das Bühnenbild versucht mit schicken Sofas und einer Fototapete – sie zeigt ein graues Beton-Wohnsilo mit Rolltreppe – einen Crossover aus Fernsehzimmer und „Street“, also aus Rezeptions- und Produktionsrahmen zugleich. Detlef „D!“ Soost, der Tanztrainer aller deutschen Popstar-Anwärter, flimmert per Videoausschnitt über eine Leinwand. Die neuesten Moves und heißesten Grooves, die die Akteure des Stücks zeigen, wollen allerdings – solange sie nicht spitzbübisch Soosts Fernsehchoreografien verhohnepipeln – keineswegs an gängige Klischees von Hiphop-Tanz erinnern. Stattdessen werden Elemente aus Bauchtanz und japanischer Kampfkunst eingearbeitet. „Persönlichkeit will performiert werden, Stehenbleiben ist Verbrechen“, diskutieren die Akteure dazu ganz ernsthaft auf der Bühne. Die Armbewegungen, mit denen Janina Joyner einen rechtwinkligen Rahmen um ihren Kopf zaubert, antizipieren dann allerdings schon wieder die eigene, bald zu erlangende mediale Berühmtheit als Tänzerin: „So gut würde ich im Fernsehen aussehen“, scheint sie sagen zu wollen.

Yasemin Celikkan, die die Erfahrung, durch die Routine eines Fernsehcastings geschleift zu werden, bereits hinter sich hat, deutet ihren Rauswurf bei „You Can Dance“ in ihrem Monolog derweil zum freiwilligen Rücktritt um – sie habe den anderen Bewerberinnen den Vortritt lassen wollen, erklärt sie. Diese kruden Selbststilisierungen reflektiert „Tales Of The Funky B-Boys & Break-Girls“ nicht weiter. Dafür setzt sich das Stück, wenn auch auf eher bemühte und oberflächliche Art, mit den Geschlechterstereotypen von Hiphop auseinander: Jörg Schiebe, der mit engem T-Shirt und Röhrenjeans neben seinen sportlich-beutelig gekleideten Kollegen ohnehin die meiste Zeit aus der Rolle fällt, schlüpft zwischendurch in ein Röckchen. Danach rekeln sich die drei weiblichen Akteure wie im Pornorapvideo am Boden und hauchen ergeben: „Give it to me, Daddy!“

Seinen dringend benötigten Moment der Besinnung findet das Stück zwischen Vergangenheitsbewältigung, Travestieshow, Ghetto-Beschwörung und Breakdance-Vorführung (exzellent: Timo Draheim und Robert Segner) erst gegen Ende: Die sieben Akteure stimmen ein Mantra an, das „Om“ ersetzen sie dabei allerdings durch „Hiphop“, „Freestyle“, „Funky“ und „Ghetto“. Natürlich versuchen sie sich dabei auch zu übertönen. Das Kräftemessen als das dem Hiphop zugrundeliegende Prinzip: So gerät sogar die gemeinsame Meditation noch zum Battle.

Nächste Aufführungen: von heute Abend bis zum 28. 10., 20 Uhr