Horrorfreunde zu Besuch auf Coney Island

Zum Abschluss der großen Joe-Coleman-Retrospektive in den Kunst-Werken wurde Jörg Buttgereits Doku „Durch die Nacht mit Asia Argento und Joe Coleman“ gezeigt. Besser hätte man die Schau nicht beschließen können

„Wie eine eigene Kirche“ habe sich die große Joe-Coleman-Retrospektive in den Kunst-Werken, die am vergangenen Sonntag nach fast viermonatiger Laufzeit zu Ende ging, angefühlt, erklärte der Meister höchstselbst am Montagabend. Es galt Abschied zu nehmen vom Werk des zwirbelbärtigen Coleman, seinen wilden Bildern und seiner gruseligen Sammlung. Während des Sommers entstand im Auftrag von ZDF und Arte eine knapp einstündige Fernsehproduktion für die Reihe „Durch die Nacht mit …“ unter der Regie des Berliner Filmemachers Jörg Buttgereit, die anlässlich der Finissage ihre Erstaufführung im Erdgeschoss der Kunst-Werke erfuhr.

Buttgereit zeigt, wie sich im Verlauf eines lauen New Yorker Sommerabends Coleman und die italienische Schauspielerin und Regisseurin Asia Argento durch die Stadt treiben lassen.

Und es zeigt sich, dass nichts besser zum großen Berlin-bye-bye passte als gerade diese Vorführung einer Reise durch die Nacht. Was in Berlin ausgestellt war, etwa ein an Coleman adressierter, handschriftlicher Brief des Sektenführers Charles Manson oder das Präparat eines zweiköpfigen Kalbes, gehört zum Inventar von Colemans Brooklyner „Odditorium“. Dieses liebevoll arrangierte Gruselkabinett ist voll gestopft mit Föten, Reliquien, obskuren Exponaten aus der amerikanischen Kriminalgeschichte und den Schattenbereichen der Populärkultur.

Mit einer Führung Argentos durch diese Wunderkammer beginnt Buttgereits Film, interessiert lässt sich die Tochter des italienischen Horror-Regisseurs Dario Argento vom Hausherren ausgewählte Stücke wie das Modell eines Mehrfachgalgens erklären, bevor die beiden sich in einer Limousine nach Coney Island fahren lassen, wo der berühmte heruntergekommene Vergnügungspark der New Yorker beheimatet ist, der nach dem Willen eines Investors in den kommenden Jahren sein Gesicht radikal verändern wird.

Er wolle ihr Dinge zeigen, die es in ein paar Jahren nicht mehr geben werde, verspricht Coleman seiner charmant-aufgekratzten Begleiterin, bevor sich das Gespräch um Todesangst, Sünden im Diesseits und die Existenz im Jenseits weiterdreht. Dann bekommen Coleman und Argento eine Spezialvorstellung in einer sympathisch-altmodisch anmutenden Freakshow, wo eine Tänzerin mit einer Albino-Riesenschlange schmust und ein schmerzerprobter Schnurrbartträger mit Zimmermannsnägeln und einer Bohrmaschine seine Nasenlöcher malträtiert. Anschließend muss Argento eine Fahrt mit der traditionsreichen Cyclone-Achterbahn durchstehen, bevor man sich mit einem Besuch bei Nathans Hot-Dog-Grill für so viel Todesmut belohnt. Weitere Stationen des Abends sind eine Privataudienz bei David Blaine, dem New Yorker Starmagier, und der nächtliche Blick auf die Skyline von Manhattan, die Coleman zu sentimentalen Liebeserklärungen an seine Heimatstadt animiert.

Irgendwo dazwischen hält Buttgereits Kamera am Times Square inne, um kurz auf einer Figur im Spiderman-Outfit zu verweilen und wenige Schnitte später fast träumerisch Argentos Gesicht zu streifen. Jeder soll seine Kathedralen bauen dürfen: So wie es Coleman möglich war, sein Werk in einer Institution wie den Kunst-Werken auszustellen, so muss Buttgereit endlich mal einen großen Spielfilm drehen.

KITO NEDO

Durch die Nacht mit Asia Argento und Joe Coleman. Regie: Jörg Buttgereit. 52 Min. Erstausstrahlung: Arte, 4. 12., 0.30 Uhr