Geist und Wasser verschütten

Fluxus im Osten: Das war ein Traum von George Maciunas. Wie er scheiterte und was dort tatsächlich an Aktionen geschah und an Netzen gewoben wurde, erzählt die Ausstellung „Fluxus East“ im Künstlerhaus Bethanien

Robert Filliou, der 1926 in Frankreich geborene Fluxus-Künstler, meinte einmal: „Was immer ich sage, ist bedeutungslos, wenn es Sie nicht anregt, meine Ansichten durch eigene zu ergänzen.“ Kunst als andauernde Schöpfung, als Lebensprozess: Das ist eine wesentliche Neuerung des Kunstbegriffs durch Fluxus.

Filliou war ein zurückhaltender Künstler, der sich mit seinen Ideen nicht aufdrängte. Ganz anders als sein Freund George Maciunas, der selbst ernannte Anführer und Namensgeber von Fluxus, der in der Ausstellung Fluxus East im Künstlerhaus Bethanien immer wieder in den Fokus gerät. Über die zwei Stockwerke des Studio 1 baute die Künstlerin Andrea Pichl einen Parcours aus DDR-Retro-Möbeln, der die Zeugnisse von Fluxus in Mittelosteuropa zwischen 1962 und 1989 rahmt. Durch alle Schränke weht der Geist Maciunas’, der – in Litauen geboren und in den USA aufgewachsen – Fluxus nach Osten vermitteln wollte. Er schrieb schon 1962 einen Brief an Nikita Chruschtschow und die KPdSU, in dem er seine Expansionspläne vorstellte. Seiner Meinung nach sollte die Aktionskunst zur sowjetischen Staatskunst werden. Der 280 Seiten starke, akribische Katalog weist darauf hin, dass ein Antwortschreiben aus der Sowjetunion nicht gefunden werden konnte.

In der von Petra Stegmann kuratierten Ausstellung wird Maciunas zur tragischen Figur. Kaum einer seiner Pläne, wie die Idee, Künstler mit der transsibirischen Eisenbahn von Ort zu Ort zu schicken, wurde realisiert. Der Traum von der Fluxus-Kolchose ging nicht auf.

Als radikal antikünstlerisches Netzwerk wurde Fluxus vor allem in den USA und Westeuropa bekannt: in den 60er-Jahren durch Künstler wie Dick Higgins, Allen Kaprow, George Brecht, Yoko Ono oder Nam June Paik, die im Zuge der Neuen Musik die erste gattungsübergreifende intermediale künstlerische Bewegung nach Dada entwickelten. Den Situationismus im Rücken, den abstrakten Expressionismus zum Feind, zeichnet sich Fluxus durch nomadisierende Bewegungen aus, die auf unterschiedlichste Weise musikalische Strukturen mit Poesie und Theater zu Alltagskunst verflochten. Situationen zu schaffen, die von jedermann jederzeit aufführbar sind, war ihre Stärke.

„Bei der Aneignung der Ideen von Fluxus durch osteuropäische Künstler handelt es sich nicht um eine Imitation“, sagt Petra Stegmann, „sondern eher um ein interessiertes Zur-Kenntnis-Nehmen und auch um eine Art Selbsterfahrung. Insbesondere die Absurdität vieler Fluxus-Stücke erinnerte zudem an die Absurditäten im Alltagsleben eines sozialistischen Staates.“

In Litauen wird dies an Vytautas Landsbergis nachvollzogen, der mit Maciunas zur Schule ging, dann in Vilnius Fluxus-Aktionen einen Rahmen gab und später Parlamentspräsident Litauens war. Andere Orte hat Stegmann in Polen, Prag und Budapest aufgespürt und dokumentiert Events und Konzerte dort mit vielen Fotos, Originaldrucken, Objekten, Zeittafeln und Manifesten. Das ist oft erhellend; hinterlässt aber doch die offene Frage, wie sich die osteuropäischen Künstler ihre politische Situation mit der Aktionskunst zusammendachten.

Exemplarisch ist die Arbeit von Mieko Shiomis für das Weben weltweiter Kommunikationsnetze. Die Japanerin machte 1965 in ihrer Arbeit „Spatial Poems“ die ganze Welt zur Bühne für Fluxus: Sie schickte Aktionsanleitungen an Künstler in aller Welt. „Spatial Poem No.1: Word Event“ lautet: „Schreib ein Wort auf eine beigefügte Karte und lege sie an irgendeinen Ort. Bitte sage mir das Wort und den Platz, es wird auf einer Weltkarte verzeichnet werden.“ So entstand eine Fluxus-Netzkarte.

Die Osterweiterung der Fluxus-Bewegung gelang dem genialen Dilettanten Maciunas nur bedingt. Nicht er, sondern Eric Andersen und sein Bruder Tony fuhren 1964 mit einem Auto über Polen, die ČSSR und Ungarn in die Sowjetunion. Die Postkarten, die sie Maciunas schrieben und in denen sie völlig überzogene Events schilderten, hinterließen eine Kette nachweisbarer Gedankengutübertragung und vor allem einen vor Wut schäumenden Maciunas. Er fühlte sich hintergangen und feuer- te die Abtrünnigen aus seiner imaginären Fluxus-Gemeinschaft.

Als eine der genialsten Gestalten erscheint einem Tamás St. Auby: Obschon er Fluxus nur durch ein kurzes Programm kannte, dass er zufällig in die Hände bekam, performte er ein Konzert. Der Budapester Happening-Künstler führte 1969 Tomas Schmits Zyklus für Wassereimer auf, bei der er Gläser im Kreis aufstellte und Wasser von einem in den nächsten umfüllte, bis alles verspritzt oder verdunstet war. Und wieder wurde ein Ziel von Maciunas erreicht, ohne dass dieser wohl jemals davon erfuhr. TIMO FELDHAUS

Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, Mi.–So. 14–19 Uhr, bis 4. November