Inmitten der Möglichkeiten

Die junge Regisseurin Julia Hölscher hat sich mit Rhythmusgefühl und Musikalität einen Namen gemacht. Nach ihrer Inszenierung von Tankred Dorsts „Ich bin nur vorübergehend hier“ in Hannover hat sie sich für das Hamburger Thalia-Theater „Parzifal“ vorgenommen. Die Premiere ist diesen Freitag

von SIMONE KAEMPF

Manchmal kommt der Erfolg tatsächlich dann, wenn man sich auflehnt. So war es 2007 beim 4. Körber Studio Junge Regie, als die Regisseurin Julia Hölscher im Vorwege die Vergabe eines Preises für die beste Regie kritisierte, weil er den Erfahrungsaustausch zwischen Studenten wieder nur auf einen Sieger reduziere. Dann ging die Auszeichnung des Körber Studios, zu dem deutsche Regie-Schulen ihre besten Diplominszenierungen schicken, ausgerechnet an sie.

Im direkten Zusammenhang mag beides gar nicht gestanden haben. Schließlich hatte ihre Version von Aki Kaurismäkis „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ mit außergewöhnlichen Rhythmusgefühl und hoher Musikalität schon Monate zuvor die Intendanten großer Bühnen so sehr überzeugt, dass Hölscher erste Inszenierungsaufträge bekam. Aber auf jeden Fall entstand die Arbeit in einer Phase steigenden Selbstbewusstseins – und in Auflehnung gegen die eigenen Zweifel. „Bei den Proben war es eine Hopp- oder Flop-Situation“, erzählt sie, „ich wusste lange nicht, ob meine Idee funktioniert, aber ich hatte das Regieführen zumindest bis an die Grenzen ausgelotet.“

Es klappte. Die 28-Jährige inszeniert mittlerweile in Hannover und Frankfurt, jetzt am Hamburger Thalia in der Gaußstraße, demnächst in Düsseldorf und trägt dazu bei, dass unter den Nachwuchsregisseuren eine neue Vielfalt entsteht, die in keine Schublade passt.

Wie viele Altersgenossen kann Hölscher mit dem Begriff Postdramatik nicht viel anfangen, scheut nicht nur Mikrofon- und Video-Einsatz, sondern auch allzu beliebige Requisiten, weil die Schauspieler „es lieber aus sich selber holen sollen“.

Ein festes Schema, dem sie folgt, hat sie noch nicht. Trotzdem strukturieren bei ihr immer Musik und viel Bewegung das Bühnengeschehen. Wenn auch mit leisen Tönen. In Tankred Dorsts „Ich bin nur vorübergehend hier“, das sie am Schauspiel Hannover zur Uraufführung brachte, ließ sie sechzehn Schauspieler und Laien unbeirrt um die Zuschauer herum im Foyer spielen wie in einem poetischen Schwellenland zwischen Leben und Tod. Autarke Typen und schrullige Ältere sieht man da, aber immer Figuren von großer körperlicher Sinnlichkeit. Dass die Bühnenräume bei ihr dennoch groß und weit bleiben, hält Nachwuchshoffnung Hölscher selbst für keinen Widerspruch. „Wenn man den Raum auf und weit macht, kann man etwas sichtbar machen und die Emotionen auf die Zuschauer richten.“

Hölscher, 1979 in Stuttgart geboren, gehört nicht zu denen, die schon früh wussten, dass sie ans Theater gehören. Als müsste sie sich erst der Welt vergewissern, arbeitete sie nach dem Abitur beim Biobauern, absolvierte diverse Praktika, zuletzt bei einem Sozialprojekt in Südafrika. „Danach wusste ich zumindest, dass ich lieber in die Kunst will.“

Die nächste richtungweisende Entscheidung trifft sie zwei Jahre später: Sie bricht ihr Studium des Operngesangs wieder ab, erkennt, dass sie „nicht nur Medium sein will“, und beginnt stattdessen das Regiestudium an der Theaterakademie Hamburg. Solche Umwege brauchen verständnisvolle Eltern, starke Nerven und irritieren dennoch die Umgebung. Kaum ein noch so kleiner Text über sie, indem ihre biographischen Stationen nicht ratlos bis verwundert aufgezählt werden. „Ich wurde deswegen lange nicht ernst genommen, auch in der Regie-Ausbildung nicht.“

So unaufgeregt, wie Hölscher darüber spricht, hat sich die Suchbewegung ohne viel Aufhebens in einen eigenen Weg gekehrt. Und auf dem scheut sie nicht die großen Kaliber. Jetzt inszeniert sie in der Gaußstraße Tankred Dorsts „Parzifal“. Was für andere eine Mythen-befrachtete Figur ist – und ein Brocken von Stück mit knapp 100 Einzelszenen – ist für Hölscher ein Stoff, der ihr von der Waldorfschule, die sie besucht hat, ganz besonders vertraut ist. „Dort war Parzifal immer ein wenig ein Held, weil er sich von der Welt erstmal so wenig beeinflussen lässt.“ Mit dem Abschlussjahrgang des Schauspielstudiengangs der Theaterakademie zeigt sie den Aufbruch einer Gruppe junger Menschen, die in eine Welt voller überbordender Möglichkeiten aufbricht und sich dort zurecht finden muss.

Parzifal, zwei Jahre Gesangsstudium, ihre immer wieder als musikalisch und rhythmisch gelobten Inszenierungen – man kommt zwangsläufig auf die Idee, ob da nicht eine junge Regisseurin die besten Voraussetzungen mitbringt, um auch an der Oper zu inszenieren. Dort, wo erneuernde Kräfte dringend gebraucht werden. Zumal sie selbst erzählt, in Szenen ohne Sprache, aber mit Körpereinsatz oft viel besser zugreifen zu können.

Aber auch das ist auf dem Weg, wen wundert’s. Ein Angebot der Jungen Oper Stuttgart hat sie angenommen, „als Versuch“, schiebt sie hinterher, „ich weiß nicht, ob ich auch die Sänger in ihrer Körperlichkeit weich bekomme. Wenn es nicht gelingt, dann mache ich eben weiter Theater mit viel Musik.“

„Parzifal“, Premiere 11. 1. im Thalia Gaußstraße in Hamburg, auch am 12. 1.; Voraufführung 10. 1. “Ich bin nur vorübergehend hier“, Schauspiel Hannover, wieder am 27. 1., 3. 2. und 26. 2.