Enteignete Kunst: Detektivin der "Lost Art"

Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten in Potsdam beschäftigt eine Provenienzforscherin. Sie ermittelt Besitzer von enteigneten Kunstwerken.

Den Schreibtisch Friedrich des Großen hat die Stiftung nun rechtmäßig gekauft. Bild: ap

POTSDAM taz Eine junge Frau sitzt im rosaroten Mantel vor heftig bewegten Wolken. Viel Pelz rahmt ihren Lockenkopf, den sie hochnäsig nach hinten geworfen hat. Die Augenlider sind auf Schlafzimmerniveau, der Blick blasiert, die Hand gespreizt. Man glaubt sich an Otto Dix und seine "Anita Berber" von 1925 erinnert. Ist doch das "Bildnis der Irene Beran" im Stil des späten Expressionismus gemalt. Hugo von Habermann (1849 bis 1929) hatte die spätere Frau des Malers Bruno Beran 1921 in München porträtiert.

Habermann ist nicht Dix und Irene Beran nicht Anita Berber. Aber es war ein großer Moment in den Adventstagen 2007, als die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) das Gemälde an seine jüdischen Eigentümer zurückgeben konnte. Schließlich waren 66 Jahre seit der Enteignung und dem Verlust des Bildes vergangen.

Solche Anlässe feiert man in Potsdam schon seit geraumer Zeit immer häufiger. 75 Kunstwerke und Objekte konnte die Stiftung seit 2004 an ihre rechtmäßigen Eigentümer übereignen oder diese nachträglich ordentlich erwerben - so wie vor drei Wochen den Schreibtisch des Alten Fritz. All dies geschieht ohne großes Rückgabegezänk wie im Falle von Kirchners "Straßenszene". Hartmut Dorgerloh, Chef der Schlösser-Stiftung, denkt gar nicht daran, Restitutionsfälle zu blockieren. Rückgaben werden in der Stiftung aus moralischer Verantwortung und "Freude" getätigt. Das ist der Anspruch der Institution und ihrer Mitarbeiter.

Alexandra Nina Bauer führt die Abteilung "Provenienzforschung" in der Schlösser-Stiftung sehr erfolgreich. Scherzhaft wird Bauer von den Kollegen als "die, die Potsdam leer räumt" bezeichnet. Ihren hartnäckigen Recherchen verdanken die meisten Alteigentümer und Erben die Wiederinbesitznahme von Kunst, Möbeln oder Büchern aus dem einstigen Familienbesitz. Die Abteilungsleiterin hat die Herkunft unzähliger Objekte, die die Nazis raubten, die Sowjets als Trophäen mitnahmen - und 1958 wieder zurückgaben - oder im Zuge der Bodenreform nach 1945 enteignet wurden und die auf merkwürdigen, oft unbekannten Wegen in den Depots der Stiftung landeten, verifiziert oder neu entschlüsselt.

Auch Berans Porträt hat so eine verzweigte Geschichte. Bauer rollte sie detektivisch auf. Sie hat eine Fotografie des Gemäldes und andere Abbildungen mit Zahlen, Inschriften, Stempeln oder Details aus einem schweren Ordner herausgeholt. Es sind Teile des "Puzzles", aus dem sich die Geschichte des Beran-Porträts zusammensetzt. "Stück für Stück, Schicht für Schicht." Das unbekannte Bild verstaubte im Depot der Stiftung in Potsdam. 2007 entdeckte Bauer den dazugehörigen Rahmen. "Da wurde es spannend". Sie kontaktierte Archive und recherchierte beim "Documentation Centre for Property Transfer of Cultural Assets of World War II Victims" in Prag. Wege und Transporte des Bildes klärten sich, ebenso wie Titel und Herkunft.

Das Gemälde hatte sich in der Kunstsammlung der Jüdin Irene Beran in Brünn befunden, bis sie von den Nazis enteignet wurde. Während Irene Beran ins Ausland floh, wechselte das Bild in den folgenden Jahren mehrmals den Besitzer. 1948 wurde es zusammen mit anderen Kunstwerken von der Sowjetischen Militäradministration an die Brandenburgische Landesregierung verkauft und in den 50er Jahren den Staatlichen Schlössern und Gärten Potsdam-Sanssouci übertragen, wo es in Vergessenheit fiel.

Frau Bauer findet man nicht leicht. Zu ihrem Büro, das in einem kleinen gelben Palais am Fuß von Sanssouci untergebracht ist, gelangt man über mehrere Flurecken und eine steile Wendeltreppe. An den Wänden ihres Büros hängen Kunstdrucke, mittendrin stehen zwei Schreibtische, die Regale werden von Aktenordnern gefüllt. Seit 2003 arbeitet die promovierte Kunsthistorikern, erst als Volontärin, dann ab 2004 mit der neu geschaffenen Stelle für Provenienzforschung in der SPSG.

Nicht viele Institutionen oder Museen in Deutschland leisten sich eine solche Arbeitsstelle, obwohl das Thema NS-Raubkunst und Enteignung samt Restitution in den Museen, Galerien oder am Kunstmarkt förmlich an den Wänden hängt. Bei einer Vielzahl von Kunstwerken in deutschen Museen, so schätzt man, ist die Herkunft unklar. Diese zu nachzuverfolgen, ist oft mühselig, fehlt es doch an Geld, Personal aber auch an gutem Willen der Museen. Dennoch, man ist auf gutem Wege: Es gibt die Magdeburger Koordinierungsstelle und Datenbank "LostArt", ein gemeinsames Projekt des Bundes und der Länder zur Erfassung von NS-verfolgungsbedingtem, insbesondere jüdischem, Kulturgut. Nach und nach leisten sich Stiftungen wie die SPSG oder Museen, wie in Dresden oder Köln, eigene Provenienzforscher. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) betreibt Provenienzforschung. Neu ist, dass Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) und die Kulturstiftung der Länder ab 2008 den Betrag von einer Million Euro zusätzlich für die Recherchearbeit an den Museen, Archiven und Bibliotheken der SPK zur Verfügung gestellt hat.

Frau Bauer reicht Kaffee und Konfekt, während sie von ihrer Sisyphos-Arbeit erzählt. Zu Beginn ihrer Tätigkeit für die Schlösser-Stiftung habe sie erst einmal mit dem Kuratoren zusammen "Bestandsforschung" unternommen. Unzählige Kunstwerke und Objekte in den Depots habe sie gesichtet. Bauer recherchierte in den Katalogen für Gemälde, Möbel, Skulpturen und sammelte, was es sonst noch in Katalogen über den einstigen Besitz der Hohenzollern, Guts- und Schlossbesitzer sowie der Bürgerlichen aus Preußen an Informationen gibt. Hinzu kamen Abgleichungen in auswärtigen Archiven und Standorten, um die Sammlungen in den Depots eindeutig zu identifizieren.

Man kann sich gut vorstellen, wie in den Potsdamer Depots langsam "aufgeräumt" wurde. "Das braucht Geduld", lacht Bauer, "aber auch eine Systematik, sich durch die Zeitschichten hinter den Objekten hindurch zu wühlen". Die Bestimmung von Besitz und Fremdbesitz kompliziert gemacht habe zudem, "dass das Vorkriegsarchiv nicht mehr existiert und es "viele Enteignungsarten gegeben hat. Der unrechtmäßige Besitz in der Schlösser-Stiftung stammt nicht nur aus NS-verfolgungsbedingtem, geraubten jüdischem Eigentum." Ungeklärt seien ebenso Werke und Objekte, die in der Nachkriegszeit in der Sowjetisch Besetzten Zone SBZ und späteren DDR die Besitzer wechselten.

Bauers Erfolge können sich sehen lassen. Rund 1.000 Objekte aus dem Bestand der Stiftung "sind vermutlicher Fremdbesitz". Viele dieser Objekte zählen zu großen Konvoluten, darunter eine Bibliothek mit über 600 Büchern. Außerdem Gemälde, Skulpturen, Möbel, Graphik, Porzellan und Tafelsilber und andere Gegenstände - von großem bis "weniger großem künstlerischen Wert". In den Fremdbesitz gelangte die Stiftung aus brandenburgischen Schlossbergungen, die im Rahmen der Bodenreform durchgeführt wurden. Kunstwerke kamen sowohl aus privater Hand als auch von anderen deutschen Museen. Auch fehlgeleitete Rückgaben von Museumsbeständen, die anlässlich der sowjetischen Rückgabeaktion von Beutekunst 1958/59 an die DDR nach Potsdam kamen, konnten in den Beständen identifiziert werden.

Das ist noch nicht alles, sagt Bauer. "Wir stellen die Ergebnisse nicht nur in Datenbanken oder geben die Informationen an Forschungsstellen weiter. Wir suchen - soweit das geht - in Eigeninitiative auch nach den rechtmäßigen Eigentümern." Existierten bereits Anfragen, gehe das Procedere einfacher, betont die Provenienzforscherin. Fehlten Hinweise zu möglichen Besitzern, würde nach denen gesucht.

Fünf aktuelle Fälle, die jüdischen Eigentümern zuzuordnen sind, liegen derzeit auf Bauers Tisch. Die Mühlen der Rückgabe mahlen in langsamer Bewegung: Welche Wege hat das Werk genommen? Welche Daten lassen sich erkennen? Wie kann man die Geschichte des Kunstwerks ergründen? Gibt es Hinweise oder Anfragen aus dem Umfeld vermeintlicher Besitzer, von Initiativen oder der Provenienzforschung?

Wenn nicht unmittelbar, so doch irgendwann werden all diese Anfragen geklärt werden, davon ist Alexandra Nina Bauer überzeugt. Sie lässt keine Grenzen in der Provenienzforschung gelten. Schließlich gehe es um "Gerechtigkeit". Bemerkenswert sei auch, erzählt sie, welche Gefühle Restitutionen freisetzen. Rückgaben an Altbesitzer oder ihre Nachkommen entwickelten sich zu "hochemotionalen Momenten", sagt Bauer. Es habe Eigentümer gegeben, die hätten vor Freude geweint, "als sie die Dinge aus ihrer Kindheit wieder in den Händen hielten".

Für die Provenienzfoscherin sind genau dies die Momente, in denen sie merkt, dass sich ihre Anstrengungen gelohnt haben.

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