Kunst beim Metzger

Seit 2006 gibt es den Projektraum „after the butcher“ in Lichtenberg. Fernab der Institutionen geht es um Verbindungen von künstlerischen Positionen. Eine Ausstellung, die heute Abend eröffnet, fragt nach dem Wandel des Lebens der Boheme

VON STEPHANIE WURSTER

Der Kaskelkiez liegt eingekeilt zwischen sich kreuzenden Bahnstrecken mitten in Lichtenberg. Wer in die ehemalige Arbeitersiedlung will, muss unter Brücken hindurch. Das Vorzeigeobjekt des Viertels, die komplettsanierte Pfarrstraße, erinnert heute an Straßen in der Potsdamer Innenstadt. Und doch gab es genau hier in den 1990ern ungefähr 15 besetzte Häuser, darunter eines der ganz wenigen, das Rechtsradikale in Berlin okkupierten. Seit das letzte linke Hausprojekt 1998 von der Polizei geräumt wurde, ist es wesentlich ruhiger geworden im Kaskelkiez. „Die meisten Rechten“, erzählt Franziska Böhmer, „sind inzwischen in den Weitlingkiez abgezogen.“ Böhmer, eine Kunstpädagogin, und ihr Mann Thomas Kilpper, ein Künstler, haben ihr Haus in der Spittastraße vor vier Jahren in einer Zwangsversteigerung erworben. Ein denkmalgeschütztes Wohnhaus aus Gussbeton mit Ladenlokal, einer ehemaligen Metzgerei, dahinter zwei flachere Gebäude auf insgesamt 400 Quadratmetern.

Ihr Projektraum „after the butcher“ eröffnete im Mai 2006 mit einer Gruppenausstellung von 121 Teilnehmer/innen – von Endre Aalrust über Stephan Dillemuth und Josephine Pryde bis Florian Zeyfang –, die das gesamte Erdgeschoss einbezog. Ein halbes Dutzend Halbwüchsiger, angeführt von Felix, dem 12-jährigen Sohn Böhmers, servierte Bier und Wein in Wegwerfbechern. Später spielten Künstlerbands auf, darunter Merlin Carpenters „Victim“. Ein beeindruckender Kaltstart, trotz des Regens, der die ganze Nacht auf die Straßen trommelte.

Bis heute sind die Vernissagen, die im Ein- bis Zweimonatsryhtmus stattfinden, außergewöhnlich gut besucht. Woran das liegt? „Manche“, mutmaßt Kilpper, der Programmgestalter, „finden es interessant, mal nach Lichtenberg rauszufahren.“ Böhmer ergänzt: „Wir zeigen junge Künstler, die kurz vor dem Absprung stehen.“ Immer öfter finden Kooperationen statt: Das Berliner Künstlerpaar (e.) Twin Gabriel bespielt die Galerieräume, während am selben Abend Michael Beutlers Dauerinstallation „Spittasteige“, eine Art hölzerne Rolltreppe, im Hausdurchgang eröffnet wird. Oder der Frankfurter Zeichner Thomas Erdelmeier lädt seinen arrivierten Berliner Kollegen Manfred Pernice für eine gemeinsame Ausstellung ein, wie im Mai und Juni dieses Jahres. Das stellt Verbindungen zwischen künstlerischen Positionen her und dient nebenbei der Kontaktsicherung zum Berliner Vernissagenpublikum, das seine Lokalhelden gerne unterstützt. Bei „after the butcher“ auszustellen, bedeutet nicht, exklusiv vertreten zu werden. Daher wird kaum Geld mit dem Projekt verdient. Das ist in Ordnung für Thomas Kilpper, dem vor allem wichtig ist, „nicht auf dem institutionellen Pferd zu reiten“.

Für Unruhe in den Springer-Blättern sorgte letzten Oktober die Ausstellung „BESCHLAGNAHMT: Rolf Heißler“, die konfiszierte Briefe und Objekte an das ehemalige RAF-Mitglied im Knast zeigte. Der Eröffnungsabend lief unter dezentem Polizeischutz ab. „Dabei war das Brisante an der Ausstellung ja gerade: Die beschlagnahmten Sachen waren total harmlos“, erzählt Thomas Kilpper. Die RAF ist für Kilpper, 1956 geboren, schon lange ein Thema. Sein Kunststudium in Düsseldorf brach er im sechsten Semester ab, an zu vielen offenen Fronten wollte er dabei sein: Friedensbewegung, Hausbesetzungen, Pershing-II- und Atomkraft-Proteste. Kilpper besuchte RAF-Gefangene im Knast und arbeitete an der Grün-Alternativen Liste mit. Nach 13 Jahren in der linken Alternativpolitik beendete der Stuttgarter doch noch sein Studium an der Frankfurter Städelschule: „Ich wollte nicht isoliert im Atelier anfangen, sondern in Auseinandersetzung treten und mit anderen Künstlern sein.“

Zurzeit arbeitet er für eine Ausstellung im italienischen Reggia Emilia an dem zehn Meter hohen Modell eines Leuchtturms, der den Flüchtlingsbooten den Weg nach Lampedusa weisen soll. Im Erdgeschoss soll ein Kulturzentrum entstehen mit Arbeitsmöglichkeiten für die Flüchtlinge in den Internierungslagern, die in letzter Zeit heftig kritisiert wurden. Der Leuchtturm soll umgesetzt werden: Kilpper wird demnächst auf die Insel im äußersten Süden Italiens reisen, um mit den Behörden zu verhandeln.

Seine Galerie reiht sich ein in die zahlreichen künstlerischen Zwischen- und Nachnutzungen im Berlin der Nachwendezeit, die den gefliesten Charme ehemaliger Metzgersläden nutzen: das letzte „Elektro“ auf der Invalidenstraße, die „Fleischerei“ in der Torstraße, „Otto Sauhaus“ in Neukölln oder auch in der Alten Schönhauser Straße der erste Laden des Themenbuchladens Pro Qm. Auch bei „after the butcher“ ist die Vergangenheit deutlich und soll es sein. Sogar alte Aufkleber der Metzgersinnung ließ man an den Schaufenstern kleben. Eine Retro-Ästhethik, die von den ausstellenden Künstlern gerne aufgegriffen wird.

In der Ausstellung, die heute Abend eröffnet, wird es um den Bezug auf einen anderen Ort gehen. „Klasse 2 Aufbau Organisation“, kurz „K2ao“, eine lose Gruppe von ungefähr zehn Kunststudenten und Künstlern aus München, forschen in ihren szenischen Inszenierungen nach dem Verbleib der Boheme. Auch die „digitale Boheme“ und die heutige Münchner Szene dürfte dabei ein Thema sein. Aber, „weil sich diese weitaus interessanter gestaltet hat“, mehr noch die Strömungen zwischen Jahrhundertwende und Räterepublik in München. Ein kleines Stück Schickeria im Kaskelkiez.

after the butcher, Spittastr. 25. „K2ao, die Liebe, die Arbeit und der Raum in Berlin“, 7. Juli–23. August. Eröffnung heute ab 18 Uhr mit Aufführungen um 19.30 und um 22.30 Uhr