Zerstören, um Neues zu schaffen

Der Konzeptkünstler Gordon Matta-Clark hat ganze Gebäude aufgeschnitten und zerstückelt. Die so entstandenen Skulpturen existieren nur noch als Fragmente, Fotos oder Filmdokumentationen. Das Haus der Kulturen der Welt zeigt nun einen Film über seine Arbeit an der Berliner Mauer

Wenn er damals ein Loch in die Berliner Mauer gesprengt hätte, er wäre heute in Deutschland vermutlich bekannter, als er ist. Doch der Künstler Gordon Matta-Clark, der 1976 in die geteilte Stadt kam, um in einer Performance einen Teil des antifaschistischen Schutzwalls wegzupusten, wurde von Freunden an der doch einigermaßen gefährlichen Aktion gehindert. Stattdessen überarbeitete er das Performance-Konzept, und in der dazu entstandenen Dokumentation ist zu sehen, wie Matta-Clark riesige Werbeplakate an die damals noch erstaunlich wenig bemalte Mauer pappt.

Spöttisch und subtil wirkten die Botschaften auf diesen Plakaten nun in ihrem Zusammenhang: Unter einem überdimensionalen Schultheiss-Männchen steht „Man stößt mit ihm an“, ein Milchprodukthersteller wirbt in Riesenlettern mit „Alles Quark!“, über der damals schon allgegenwärtigen Milka-Kuh steht „Bin ich nicht unwiderstehlich?“.

Matta-Clark klebte die Plakate teilweise auf Graffiti – das Schultheiss-Männchen verdeckt einen NPD-Schriftzug, teilweise schrieb er selber etwas darüber: „FROM USSR MIT LOVE“, dazu malte er mit dickem Pinsel eine Reihe blutrot gefärbte Star-Spangled Banner, in deren Mitte Hammer und Sichel zu sehen sind. Dass zwischendurch Berliner Schupos mit dicken Koteletten bewaffnet auftreten und den US-Amerikaner um seinen Ausweis bitten, lässt ihn kalt.

Matta-Clark starb zwei Jahre nach der Maueraktion 35-jährig an Krebs. Ein Jahr zuvor erlitt sein Zwillingsbruder einen tragischen Unfall: Er stürzte aus Gordons Atelierfenster in den Tod. Matta-Clarks Kunst bekam danach eine morbide, tieftraurige Dimension. Er baute an einem Gang in die Erde, ein Loch, in dem er stundenlang buddelte, als ob das Eindringen in die Unterwelt ihn seinem Bruder näher bringen könnte.

Vorher hatte Matta-Clark vor allem Häuser zerschnitten: „Building Cuts“ nannte er seine exzeptionellen Werke, bei denen er riesige, speziell geformte Löcher und Schnitte in Abbruchhäusern anbrachte, und sie dann fotografierte und filmte. Wie ein Bäcker, der einen Kuchen anschneidet, nahm sich Matta-Clark in einer Mischung aus architektonischem und aktiv künstlerischem Interesse dem Material „Haus“ an und bearbeitete es radikal, indem er die bestehenden Strukturen, die festen Wände, Böden und Zwischenböden, nach Belieben mit Löchern versah, in Paisley- oder Keilform, als ob Stein, Holz und Beton nicht fester als Teig wären. 1975 hatte er zur Paris-Biennale kegelförmige Löcher in zwei Häuser aus dem 17. Jahrhundert geschnitten, die abgerissen werden sollten, um dem weiland umstrittenen Centre Pompidou Platz zu machen. Auf schwarz-weißen Fotos erkennt man in den Schnitten die Struktur der Böden, den Aufbau der Wände, die elegante Form der Löcher lässt einen in mehrere Stockwerke gleichzeitig schauen und erinnert bedrückend an Bilder aus Erdbebengebieten, nur ohne den herumliegenden Schutt und die Reste des Lebens der unglücklichen BewohnerInnen.

Bei der Ausstellung „Rencontres International“ läuft der seltene Matta-Clark-Mauerfilm heute in einem Filmblock mit dem Namen „Gebunden/Ungebunden“. Elf weitere junge KünstlerInnen haben sich mit dem Thema Grenzen auseinandergesetzt: Lia Lapithi Shukuroglou hat ihren Film „Rezept für marinierte zerstoßene Oliven“ wie eine Kochsendung aufgebaut, an deren Ende man den Zusammenhang zur Situation auf Zypern begreift. Kevin Everson hat Dokumentarmaterial von den afroamerikanischen Krawallen in Cleveland 1968 nachgestellt. Im Rahmen der umfassenden Experimentalfilm-Show findet heute außerdem eine Debatte zu den „Fließenden Grenzen zwischen visueller Kunst und Film“ statt. Daran ist auch die jetzige Kuratorin des Centre Pompidou beteiligt. Und stellt so ungewollt einen Zusammenhang zu Matta-Clarks brillanten und anarchistischen Ideen her. JENNI ZYLKA

Haus der Kulturen der Welt, Programm unter www.hkw.de