Come in & burn out !

In „Selbstgespräche“ erzählt André Erkau von den Klinkenputzern des digitalen Zeitalters

Zur Zeit ist wohl keine Berufsgruppe so verhasst wie die VerkäuferInnen in Callcentern, die unerwünscht anrufen und versuchen, den von ihnen so Überfallenen ein Abo, eine Versicherung oder eine „Super-Flatrate zu sensationellen Konditionen“ anzudrehen. Von diesen Klinkenputzer des digitalen Zeitalters will man so wenig wie möglich hören - warum hat sich also André Erkau ausgerechnet dieses Milieu für seinen Debütfilm ausgesucht? Und warum zeigt er zudem das ganze Elend ausschließlich aus der Perspektive der Täter? Also keine überforderten Rentner, die aus reiner Höflichkeit etwas kaufen, was sie überhaupt nicht brauchen, sondern die Manipulatoren, die genau wissen, auf welche rhetorischen Knöpfe sie bei ihren Opfern drücken müssen.

Nun, der jetzt 40jährige Regisseur war einst „jung und brauchte das Geld“ . Er hat also selber zwei Jahre lang als „Outbound-Agent“ in einem Callcenter gearbeitet und die besten Drehbücher basieren nun mal auf persönlichen Erfahrungen. Wenn selbst ein Thomas Mann für seinem ersten und erfolgreichsten Roman die eigene Familiengeschichte und das Milieu seiner Kindheit verwurstete, sollte das jedem angehenden Geschichtenerzähler zu denken geben. Die Frage ist nur: wie nutzt ein Autor dieses biografische Kapital? Wenn man nach „Selbstgespräche“ urteilt, muss Erkau ein ganz schlimmer (sprich erfolgreicher) Telefonverkäufer gewesen sein, denn solch einen Film kann nur einer machen, der jeden Kniff kennt, und zwar nicht nur bei der Arbeit, sondern auch im Betrieb, wo natürlich genauso gewieft und fies getrickst wird.

Da ist es interessant, dass Erkau offensichtlich zwei seiner Protagonisten besonders am Herzen liegen. Der Eindruck drängt sich auf, dass er Aspekte seiner selbst in diese extrem gegensätzlichen Figuren hineingeschrieben hat. Adrian ist eine schüchterne Unschuld, die noch bei ihrem Vater lebt und von der großen Liebe träumt. Er ist der beste Verkäufer im Stall, ohne dass je wirklich deutlich wird, warum er so viele Verträge abschließen kann. Sascha ist dagegen ein Filou: ein egozentrischer Gernegroß, der aus jeder Situation ohne Rücksicht auf Verluste den besten „Deal“ schlagen will - und dabei jedes Mal grandios scheitert. Tatsächlich ist er so großkotzig und unsympathisch, dass der Film durch diese Figur manchmal droht, einen unangenehm bitteren Unterton zu bekommen. Er ist der Widerhaken, den ein Film über professionelle Abzocker aber wohl auch haben muss, denn ansonsten ist dies eine liebevoll geschriebene und inszenierte Komödie, in der die Charaktere in ihren kleinen Telefonboxen mit den Headset auf den Köpfen ständig von der Geschäftsleitung unter Druck gehalten werden und sie sich nach Feierabend zuhause dann mit ihren persönlichen Problemen weiter abplagen müssen.

So die Diplom-Architektin Marie, die als alleinerziehende Mutter jeden Job annehmen muss, und der Teamleiter Richard, der immer eine passende chinesische Weisheit auf den Lippen hat, aber zuhause nicht das einfachste Gespräch mit seiner Frau führen kann. Überhaupt ist die Unfähigkeit zur Kommunikation das versteckte Hauptthema des Films, und sein Witz beruht darauf, dass alle permanent aneinander vorbeireden. Dies tun sie nun aber äußerst ausgefeilt, und alleine schon für Dialoge wie: „Du stinkst nach Bier!“ - „Ich liebe Dich auch!“ hat „Selbstgespräche“ nicht nur den Max Ophüls Preis von Saarbrücken und das Prädikat „besonders wertvoll“ , sondern auch ein großes Kinopublikum verdient.

Wilfried Hippen