Als Madonna das Voguen lernte

Von der Backgroundsängerin aus Michigan zum internationalen Star – heute wird Veronica „Madonna“ Chiccone 50. Eigentlich kein Alter für eine Queen of Pop: Glückwunsch!

VON SEBASTIAN INGENHOFF

Kaum ein Popstar verkörpert die Tugenden Ehrgeiz und Selbstdisziplin so sehr wie Madonna. Tagtäglich arbeitet sie mit hochgekrempelten Ärmeln an ihrer Marke. Denn der gemeine Madonnajünger lässt sich nicht mit demselben Brei abspeisen. Brav wartet er auf ihre jeweils neue Identität, wenn sie mit einem neue Madonna-Album den Markt betritt.

Der schwule Underground

Heute erfinden sich solche Identitäten freilich auch nicht mehr von alleine, selbst eine Queen of Pop braucht Inspiration. Und die holt sie sich seit je auf der Straße und in den angesagtesten Clubs dieser Welt. Dabei fleddert Madonna fleißig die Subkulturen.

Angefangen hatte alles Anfang der Achtziger in New York. Post-Disco, No Wave und Hiphop revolutionierten gerade die Popkultur. Die damals noch nicht als queer gelesenen B-52’s hatten mit „Rock Lobster“ einen Hit. Hiphop-Erneuerer Africa Bambaataa verpasste dem Sound von Kraftwerk den nötigen Groove und erfand nebenher Electro, aus dem später in Detroit Techno entwickelt werden sollte. E.S.G und Liquid Liquid spielten Funk und Disco im Geiste von Punk. Nach ein paar Jahren im karnevalistischen Mainstream hatte sich Disco wieder in den schwarzen und schwulen Underground zurückgeschlichen und wurde durch Leute wie Arthur Russell oder Kid Creole revitalisiert. Und es war die Zeit, als Madame Chiccone das triste Michigan verließ und nach Gotham flüchtete.

Zunächst heuerte sie beim Disco-Produzenten Patrick Hernandez als Backgroundsängerin an, was Madonna aber schon bald unterforderte. Sie lernte Drums und Gitarre spielen und hippe DJs wie Mark Kamins und John „Jellybean“ Benitez schneiderten ihr dann die ersten Songs auf den Leib, von denen „Holiday“ ein Welthit wurde.

Justify my love

Zügig wurde die Sängerin Mainstream und veröffentlichte in den nächsten Jahren Alben mit Hits und aber auch einigen schlechten Songs, die sich gut verkauften.

Von ihrer liebsten New Yorker Subkultur, den Homosexuellen, hat sie sich dabei nie ganz verabschiedet – man denke nur an „Vogue“ und das dazugehörige Video, das ohne Hilfe des schwulen schwarzen Undergrounds nicht entstanden wäre.

Ein Teil ihrer anderen Videos auch nicht. Madonna ging sogar so weit, schwule Männer zu re-heterosexualisieren, wie in ihrem Track „Justify my love“. Der neben Madonna zweite „Vogue“-Darsteller Tony Ward, die spätere Muse von Queer-Cinema Ikone BruceLa Bruce, kann ein Lied davon singen.

Doch ihr Prinzip, mit den jeweiligen subkulturellen Hipstern zusammenzuarbeiten und nach neusten Trends zu fischen, bescherte ihr in den späten Neunzigern einen „zweiten Frühling“: Mit Hilfe jüdisch-kabbalistischer Geheimlehren und einigen Eckpfeilern des elektronischen Dancefloors (Mirwais, Stuart Price oder William Orbit) stellte sie die Popwelt auf den Kopf. Einher mit ihrer Entdeckung der Kabbala betrat sie auch musikalisch Neuland.

Plötzlich fand noch der affigste Kritiker Geschmack an Triphop und den Elektronik-Skulpturen der Queen of Pop und bescheinigte ihr Stilbewusstsein. So ging es fast durchgehend in den letzten zehn Jahren, sieht man ab von „American Life“, mit seiner etwas unglücklich formulierten Kritik am Irakkrieg, weswegen sie gar das Video zur Single zurückziehen musste.

Hercules & Love Affair

Im Frühjahr erschien mit „Hard Candy“ ihr mittlerweile elftes Studioalbum, produziert von Timbaland und Pharrell, also jenen Toningenieuren, die sich 70 Prozent aller auf dem Markt erfolgreichen Popsongs teilen, die in den letzten Jahren als Clips ins Programm des Musiksenders MTV durften. Ein Album, produziert von diesen Fließbandarbeitern, zeugt 2008 kaum von Wagemut und Innovationsdrang. Auch eine Popdiva muss wohl mal mit Pharrell und Timbaland gearbeitet haben, so wie jeder Landjunge einmal im Leben eine Kuh umgeworfen hat. Das Madonna-artigste Video dieser Tage stammt daher nicht von ihr, sondern von dem New Yorker Discoprojekt Hercules & Love Affair.

Mit ihrem fulminanten Debüt knüpften Hercules & Love Affair im Februar an jenes Goldene Zeitalter im New York der frühen Achtziger an, als Madonna das Voguen lernte. Nie wieder seit ihrem gleichnamigen Song wurde so getanzt wie in dem eisig-schönen Video zu „You belong“. Noch nie gab es so viele Tony Wards in einem einzigen Clip zu bestaunen, schwarze, weiße, weibliche und männliche, wie bei Hercules4&4Love Affair.

Dazu die Grandezza der transsexuellen Sängerin Nomi (ihr Künstlername, eine Hommage an den deutschstämmigen New Yorker New-Wave-Countertenor Klaus Nomi). Nicht nur schwule Männer dürften sich in dieses Warhol’sche Factory Girl bis über beide Ohren verliebt haben. Bald schon wird Madonna an Hercules-&-Love-Affair-Mastermind Andrew Butler herantreten! Bleibt zu hoffen, dass er weiß, was er dann tut.