Schlaflos in Teheran

Tirdad Zolghadr erzählt in „Softcore“ von den Facetten des Kapitalismus im Regime der Mullahs

VON JULIAN WEBER

Offiziere, politische Dissidenten, kurdische Sufis, Folk-Musiker, Hausfrauen, Bauern, Schweizer Journalisten, arabische Touristen und ein Fernsehmoderator“. Eine illustre Runde hat der Icherzähler in „Softcore“ im Laufe seines zirka 30-jährigen Lebens im Haus seiner Tante Zsa Zsa auf der Veranda ihres Anwesens, irgendwo auf dem Land nahe Teheran, sitzen sehen.

Man erfährt nicht mal seinen Namen. Aber wer gern von Aufzählungen levitiert werden mag, der kommt mit dem atemlos erzählten, emotional unterkühlten, sprachlich schneidigen und daher kurzweilig zu lesenden Buch des in Berlin lebenden iranischen Autors Tirdad Zolgadhr aufs nächste Level. In „Softcore“ wimmelt es geradezu von Aufzählungen; die seien ihm wichtiger als „Chronologie oder psychologischer Realismus“, schreibt der Icherzähler an einer Stelle. Und sie symbolisieren auch das warenförmige Wesen des Pop. Aufzählen ließen sich ferner Zolghadrs verschiedene Tätigkeiten, neben der Schriftstellerei. Er ist Mitglied des Design-Kollektivs „Sharzad“, arbeitet als Kurator für Kunstausstellungen auf der ganzen Welt und hält Vorträge (zum Beispiel mit dem Titel „The Eroticism of Pedagogy“). Auf der Documenta 2007 hat er seinen Film „Tropical Modernism“ gezeigt. Könnte Bluff sein, ist es aber nicht.

Mithilfe der Aufzählungen schweift Zolghadr in „Softcore“ immer wieder vom eigentlichen Geschehen ab. Denn eigentlich ist der Icherzähler mit einem konkreten Auftrag nach Teheran gereist: Er will das „Café Promessa“ wiedereröffnen. Einst gehörte dieses Etablissement seiner Tante, die es zu einem Treffpunkt für Künstler und Intellektuelle aus dem In- und Ausland machte. Doch diese Vergangenheit ist seit der iranischen Revolution ausgelöscht; und zu den vier Millionen Teheranern, die damals, während der weltlich und westlich orientierten Diktatur unter Schah Reza Pahlevi, zur Blütezeit des Promessa, gelebt haben, sind in der Gegenwart des Romans, im religiösen Regime der Mullahs von heute, acht weitere zugezogene Millionen gekommen. Plus dem Icherzähler, der zu dem ehrgeizigen Projekt der Wiedereröffnung des Cafés von seiner Kunsthistorikerfreundin Stella überredet worden ist, so behauptet er jedenfalls. Die Aufzählungen dienen Zolghadr auch als Mittel, um die Gedankengeschwindigkeit der Gegenwart in den Griff zu bekommen und die Facetten des Kapitalismus, wie sie sich zwischen der Pahlevi-Diktatur und dem Regime der Mullahs auftun. In „Softcore“ herrscht gleichzeitig Steinzeit und Globalisierung. Und der Icherzähler versucht, diese Zerreißprobe ohne Schlaf zu bewältigen. „Teheran zu beschreiben ist, als wolle man jemandem, der später dazukommt, einen hitzigen Disput während eines Abendessens, Buchstabe für Buchstabe nacherzählen.“

Der Protagonist teilt das Schicksal aller Emigranten, die Heimweh haben, obwohl sie längst dem Heimatbahnhof entfremdet sind, von der Rückkehr spricht er nur in Anführungszeichen. Wohler fühlt er sich bei den Exiliranern in Hamburg und Zürich („wegen eines tiefen und ehrfürchtigen Gefühls des Vertrauens in die Metaphysik schweizerischer Sicherheitsstandards“). Seine Künstlerfreundin Stella will dagegen aus irgendwelchen Coffee-Table-Büchern vom „Avantgarde-Status“ der Drittwelt-Metropolen gehört haben und ist davon überzeugt, dass der Icherzähler im Iran das Richtige macht. Das sagt sie ihm nie selbst. Wenn überhaupt, taucht sie in „Softcore“ nur als Senderin von SMS-Botschaften und E-Mail-Einflüsterin auf. An „Softcore“ ist zu kritisieren, dass die Frauenfiguren, bis auf Tante Zsa Zsa, unscharf bleiben.

Das „Promessa“ soll „eine Art Showroom, als Ort für Kunstausstellungen, Modenschauen, Premieren, Lesungen, Filmvorführungen, Workshops, Diskussionsrunden, Geschäftsempfänge, Dreharbeiten, Partys und so weiter“ werden. Zolghadr hat diesen Raum als glitzernde Oberfläche mit den Insignien der Warenwelt gepflastert, in dem die Schönen der Teheraner Nacht Prada tragen und „Chloë by Karl Lagerfeld“. Man glaubt dem Icherzähler, dass er „frühe House-Mixe von Madonna“ kennt. Er nimmt diese Accessoires nicht nur wahr, er geht mit ihnen um, während er Partys besucht, Drogen nimmt, „Tomb Raider“ spielt und schnellen Sex hat. Oder während er ziellos mit dem Taxi durch den reichen Norden und den armen Süden der iranischen Hauptstadt fährt, um mit dem Droschkenfahrer billige Zigaretten zu rauchen und die architektonischen Unterschiede der Viertel zu erläutern.

Alles verläuft reibungslos, bis er in den gefürchteten Knast Shekufeh wandert und dort Bekanntschaft mit der Geheimpolizei Shavak macht. Er glaubt auch zu wissen, wie er am Ende sterben wird. Aber das Ende bleibt offen.

Tirdad Zolghadr: „Softcore“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, 223 Seiten, 8,95 Euro