RAPP NECKT MEINECKE, DUBSTEP SCHLÄGT FOUR TET, MANN TRIFFT FRAU AUF KLO UND NIEMAND AUF DER TANZFLÄCHE HAT EINE AHNUNG, WAS GERADE GESPIELT WIRD
: Internationale Forschung für Dubstep- und Techno-Fusion

VON TIM CASPAR BOEHME

Sofern es halbwegs gesittet zugeht und keine Drogen im Spiel sind, herrscht auf Toiletten bekanntlich Geschlechtertrennung. Im HBC, früher Haus der Ungarischen Kultur, war diese Trennung am Wochenende aufgehoben, zumindest imaginär. Eine unmittelbare Verletzungsgefahr der eigenen Schamgrenzen bestand zum Glück nicht. Beim Händewaschen im Männerklo blickte ich meinem eigenen Gesicht entgegen. So was kommt schon mal vor. Über dem Waschbecken hing jedoch kein Spiegel, sondern ein Bildschirm, auf dem ich mich ungesund verzerrt und zeitverzögert beobachten konnte. Plötzlich tauchte neben meinem Kopf das Gesicht einer Frau auf, obwohl außer mir niemand am Waschbecken stand.

Aha, ein Film, dachte ich. Stimmte nicht. Zu sehen war, wie ich später erfuhr, jemand von der Frauentoilette hinter der Wand. Die Videoarbeit trug den schönen Titel „Dialogues“. Frau und Mann begegnen sich an einem alles andere als neutralen Ort, selbst wenn sie im Grunde beziehungslos bleiben. Die Frau hat die Simultanprojektion ihres und meines Gesichts nicht einmal bemerkt.

Ein paar Türen weiter saßen die Suhrkamp-Autoren Thomas Meinecke und Tobias Rapp beisammen und spielten sich Platten vor. Für sie ging es weniger um Genderfragen als um ethnische Neutralität im Techno, einer Musik, an der Rapp am meisten gefällt, dass sie unabhängig von Kategorien wie „schwarz“ oder „weiß“ funktioniert. Sie gehört allen, und niemand kann sie mit Alleinvertretungsanspruch für sich vereinnahmen. Besonders schön war in diesem Dialog zu sehen, wie sich gestandene Musiknerds bei ihrer Lieblingsbeschäftigung in kleine Jungen verwandeln, die darüber streiten, wer das tollere Spielzeug hat. Als Rapp dann auch noch regelmäßig die Musik seines Gesprächspartners leiser drehte, um Fragen zu stellen, verflüchtigte sich die Gemütsruhe des Gastgebers Meinecke ein wenig.

Von da ging es weiter ins WMF. Kältetrotzende Schlangen vor der Tür, wohltemperiertes Gedränge im Innern. Die Hauptbühne gehörte hybriden Produzenten wie Four Tet oder Kelpe, in deren Musik sich allerhand Elektronisches und Nichtelektronisches vermischt. Eine Etage darüber wurden die Zwischenergebnisse der internationalen Forschungsgruppe für Dubstep- und Techno-Fusion präsentiert, mit den DJs Scuba und 2562 als Laborvorstehern. Laut, hart und irgendwie spannender als die leicht verjammte Parallelveranstaltung im ersten Stock. Dazwischen immer mal wieder von einem Floor zum nächsten wechseln, auf den Fluren im Gespräch hängen bleiben.

Egal wo man sich bewegte, überall war es ständig voll. Nichts für Klaustrophobiker, permanentes Schieben, Schubsen oder Stehen. Wie hatte Rapp wenige Stunden früher gesagt? Techno gehört heutzutage als Clubphänomen zum Mainstream, die Publikumszahlen sprechen für sich. Musikalisch und vom Selbstverständnis der Produzenten her ist Techno zugleich Underground, denn kaum jemand auf der Tanzfläche hat wirklich eine Ahnung, was gerade gespielt wird. Was die Besuchermenge angeht, traf das mit dem Mainstream locker zu. Angenehm war es auf den langen Fluren, nicht nur weil man sich dort in Ruhe über nahe liegende Themen wie Musikjournalismus oder angebrochene Zehen unterhalten konnte. Es gab dort auch Luft zum Atmen.

Kurz vor dem Nachhausegehen noch einmal die Toilette aufgesucht. Neben den Pissoirs standen drei Briten beim Gespräch. Zwei Männer, eine Frau, ganz real und völlig selbstverständlich. Auch hier ist der Club dem Mainstream voraus.