Vertuschungen bis ganz weit oben

Der katholische Priester Oliver O’Grady präsentiert sich in Amy Bergs Dokumentarfilm „Erlöse uns von dem Bösen“ als Monster in Opagestalt. Über zwei Jahrzehnte hatte er seit den Siebzigerjahren ihm anvertraute Kinder – Jungen und Mädchen, einmal ein neun Monate altes Baby – vergewaltigt. Skrupel kannte er offenkundig kaum, dafür Mittel und Wege. Er schlief schon mal – an Sex mit Erwachsenen nicht interessiert – mit einer Mutter, um sich an deren Sohn ranzumachen. Katholische Familien haben ihm ihre Kinder zur Betreuung überlassen. O’Grady hat ihr Lebensglück brutal zerstört.

Amy Berg hat einen Dokumentarfilm gedreht, über O’Grady und seine Opfer. Beide Seiten treten vor der Kamera auf. Kinder, die missbraucht wurden, ihre Eltern – und ganz und gar nicht zuletzt Oliver O’Grady. Der Mann ist die Freundlichkeit selbst. Er leugnet keineswegs seine Taten und hat doch vom Ausmaß seiner Verbrechen nicht die leiseste Ahnung. Ein Lächeln umspielt seine Lippen, noch wenn er unfassbare Dinge beschreibt. Nach der Verbüßung seiner Haft schickt ihn die Kirche zurück in seine Heimat Irland. Er schreibt seinen Opfern Briefe, in denen er anbietet, sich mit ihnen auszusprechen. Der Film zeigt deren mehr als berechtigte Reaktionen: Sarkastisch meint eine Frau, er wolle wohl seine kleine Missbrauchsherde um sich versammeln.

Geweiteter Blick

Obgleich Amy Berg in ihrem oscarnominierten Film auf mitunter nervtötende Emotionalisierung und bescheuerte Schauplatzwahl und den wenig sensiblen Einsatz von Musik nicht verzichtet, macht sie dann doch das grundsätzlich einzig Richtige: Sie verlässt die beschränkte Täter-Opfer-Perspektive und weitet den Blick hin auf die strukturellen Ermöglichungsbedingungen von O’Gradys Untaten. Sie betreibt, mit anderen Worten, halbwegs analytisch die Kritik der katholischen Kirche. Genau dokumentiert sie, wie O’Gradys Vorgesetzte auf fortgesetztes Vertuschen setzten, der eigenen Karriere und des Rufs der Kirche wegen, den sie so im Nachhinein umso gründlicher zerstörten. Nach jedem weiteren intern bekannt gewordenen Vorfall wurde der Priester einfach in eine Nachbargemeinde versetzt, ohne dass die neue Gemeinde über seine Vorgeschichte informiert worden wäre.

Die Kette der Verschweiger ist lang und sie reicht bis ganz nach oben in der Kirchenhierarchie, namentlich bis zum zuständigen Präfekten der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger. Kirchenvertreter haben sich geweigert, vor Amy Bergs Kamera zu treten, man sieht sie einzig in gerichtlichen Anhörungen, in denen sie, wo immer möglich, die Auskunft verweigern. Namhafte Kirchenkritiker dagegen kommen ausführlich zu Wort und sie beschreiben Formen von Korpsgeist und Intransparenz und Mangel an Einsicht, die sie sehr zu Recht als mafiös bezeichnen. Alles, was nun über Missbrauchsfälle im Kloster Ettal herauskommt, alles, was mit Sicherheit noch über vergleichbare Verbrechen zu erfahren sein wird, gehorcht im Ablauf genau den hier beschriebenen Mustern: Erst wird vertuscht, dann wird geleugnet, dann wird es als Einzelfall abgetan, und wenn alles zu spät ist, wird ohne sichtliche Zerknirschung auf nunmehr erfolgte Regeländerungen verwiesen.

Unfreiwillige Entschädigungszahlungen

In den USA hat die Kirche, freiwillig allerdings nicht, Milliardensummen an Entschädigungen gezahlt. Der für die fortgesetzte Weiterbeschäftigung O’Gradys verantwortliche Kardinal Roger Mahoney ist weiter im Amt. Am Ende machen sich in Amy Bergs Film zwei der Missbrauchsopfer, allerdings arg populistisch à la Michael Moore, auf nach Rom zum Vatikan. Auf einen Brief, in dem sie Aufklärung fordern, erhalten sie nie eine Antwort. Sie sind nicht die Einzigen, die bei der katholischen Kirche, die so gerne ex cathedra urteilt, ein Mindestmaß an Schuldeingeständnis und Einsicht vermissen.

EKKEHARD KNÖRER

■ „Erlöse uns von dem Bösen – Deliver Us From Evil“. Regie: Amy Berg. USA 2006