Techno sitzt heute im Stadtrat

DIGITALISIERUNG Musiker diskutierten in Berlin

„Futurismus ist immer auch Retro“, sagt Romy Zips, Bookerin bei Magnet Musik, und erzählt, dass der Detroiter Techno-DJ Mike Huckaby nun wieder mit Kassetten auflegt. Der Journalist Tobi Müller hat zum zweiten Teil seiner Gesprächsreihe „Soundaten – O-Töne aus der Produktion“ in die Berliner Volksbühne eingeladen; diesmal unterhalten sich Vertreter der Techno-Branche darüber, wie die Digitalisierung ihre Arbeit verändert. Auf den Sesseln liegen 15 Leute, um dem einer Live-Radio-Sendung mit Bildern ähnelnden Gespräch zuzuhören. Zips und Steffen Berkhahn alias Dixon, Musiker und Macher vom Berliner Edel-Techno-Label Innervisions, plaudern aus dem Nähkästchen. Erstaunlich oft geht es um Analoges. Wie verändert sich der Prozess des Musizierens und Rezipierens, will Müller mit seiner Gesprächsreihe fragen und den Blick vom Produkt abwenden. Also wird von Plug Ins gesprochen, von Booking-Organisations-Software, von Podcasts und Synthies. Aber dann eben auch von Klavieren, Postvertrieben und persönlichen Kontakten.

„Techno ist 25 Jahre alt, da ist einfach schon vieles gesagt worden“, sagt Dixon. Das Genre biete nur noch wenig Besonderes, es gebe ein Überangebot an Clubs, die Crowd sei nicht mehr spezifisch, und das Tanzen werde vernachlässigt. Techno auf dem Stillstand also? Nein. Romy Zips erzählt von ihren Musikern des Labels Dial. Lawrence kenne sich mit klassischer Musik des 20. Jahrhunderts bestens aus und lasse das in seine Produktionen einfließen. Und Pantha Du Prince sei auch im Feuilleton begeistert besprochen worden.

Dixon hat gerade mit seinem Kollegenkollektiv „A critical mass“ neue Musik für den Stummfilm „Das Kabinett des Dr. Caligari“ eingespielt. Finanziert mit Geldern der Stadt Mannheim. Der gute alte Techno findet also seinen Weg in die subventionierte Hochkultur. „Mittlerweile sitzen die, die mit unserer Musik aufgewachsen sind, in den Stadträten“, sagt Dixon. Für die Vertonung wurden echte Geräusche aufgenommen und konzeptuell gearbeitet. Jeder Figur des Films ist eine Notenfolge zugeordnet, die durch Instrumentierung und Tempo variiert. Die Bassdrum setzt erst zehn Minuten vor Schluss ein. Man sei von verschiedenen Musikern beeinflusst, so Dixon. Es scheint wie ein merkwürdiger verlegener Reflex, dass Technomusiker sich vom funktionalen Clubkontext abgrenzen, indem sie mit Hochkultur kokettieren. Oder wie sagt Zips – Futurismus ist Retro.

LAURA EWERT