Outgesourcte Widersprüche

SCHWIERIGE LIEBE Haim Tabakmans Film über orthodoxe Schwule in Jerusalem

Es geht um die Frage, was es bedeutet, wenn einer religiösen Praxis die Traditionen wichtiger sind als die Triebe und Wünsche

„Wollen wir heute Abend studieren?“ Das fragt Aaron (Zohar Strauss), der Mann mit den strahlenden, aber irgendwie verdunkelten Augen, den jungen Ezri. Es klingt wie eine Aufforderung zum Sex. Das ist es auch, obwohl Aaron es selber noch nicht weiß.

Aaron Fleischmann hat die väterliche Metzgerei übernommen, nachdem der Vater, der wiederum Sohn eines Rabbiners war, gestorben ist. Vom Vater in der Metzgerei zurückgeblieben sind ein schwarzes Jackett, ein Hut und eine zur Hälfte aufgerauchte Schachtel Zigaretten. Es regnet, und der klitschnasse Ezri (Ran Danker) kommt zur Tür herein. Er ist eine göttliche Erscheinung mit vollen Lippen von der Sorte, die das Klischee als „sinnlich“ bezeichnet. Der schwarze Hut ist dandyhaft in den Nacken geschoben. Das weiße Hemd kontrastiert bestens mit dem schwarzen Trenchcoat. Die Haare sind, bis auf die Schläfenlocken, kurz. Ezris Wimpern sind lang. So stellt sich zumindest der heterosexuelle Mann eine schwule Ikone vor.

„Du sollst nicht lieben“ heißt Haim Tabakmans erster Spielfilm über die Liebe zwischen zwei orthodoxen Männern in Jerusalem. Die Geschichte ist schnell erzählt. Ezri sucht eine neue Talmudschule. Um zu lernen, wie er sagt. Er lässt sich aber von Aaron als Aushilfe einstellen. Bald sind die beiden ein Paar, natürlich nur in aller Heimlichkeit – auch wenn Aarons Frau Rivka, gespielt vom einstigen Tel Aviver It-Girl Tinkerbell, bald etwas zu ahnen scheint. Allein die Tatsache, dass Ezri bei Aaron arbeitet und in einer Kammer über dem Laden schläft, ist Anlass zu Gerüchten im Viertel.

Denn Ezri wurde aus seiner früheren Gemeinde ausgeschlossen, weil er „viele Mizwes“, also gute Taten, gemacht hat. Das erzählt der Rabbiner Vaisman, der sich Sorgen macht, Aaron. Bald darauf geben die Thoraschüler des Rabbi Aaron zu verstehen, dass auch er aus seiner Gemeinde verstoßen werden wird, wenn er Ezri nicht wegschickt. Aaron ist ein angesehenes Mitglied seiner Gemeinde, im Bethaus ist er als Gabai, also Vorsänger, tätig.

Tun, was Gott will

Dass „die guten Taten“ das Codewort für jene sündhaften Dinge sind, die Leute zwar miteinander machen, die es aber nicht geben darf, hat seine eigene Logik. Denn Tabakman und sein Team sind darauf aus, die Frage zu stellen, was es bedeutet, wenn einer religiösen Praxis die Traditionen wichtiger sind als die Triebe und Wünsche, womöglich gar die Liebe zwischen Menschen. Diese Frage liegt nahe für einen Film, dessen Protagonisten vor allem gläubige Männer sind. Die Rechtgläubigen sind bekanntlich unduldsam nicht nur gegenüber zwei Männern, die sich lieben.

Auch der junge Israel Fischer, der als Nichtsnutz gilt und nun auch noch Sarah liebt, die einem anderen versprochen ist, wird unter Druck gesetzt. Aaron selbst ist es, der Israel Fischer warnt: „Du kannst hier nicht machen, was du willst.“ In einem orthodoxen Viertel soll man tun, was Gott will. Aber was will er denn überhaupt? Und so ist ein kurzes theologisches Gespräch zwischen Rabbiner Vaisman und einigen Männern aus der Gemeinde der spannendste Teil dieses Films. „Der Herr sagt, der Mensch soll nicht leiden. Er soll das Leben genießen“, sagt der Rabbiner. Dem widerspricht Aaron: „Ein Diener des Herrn ist, wer die Mühe liebt.“

Aaron nimmt seine Liebe zu Ezri als Prüfung wahr, denn „wir würden nicht auf die Probe gestellt, wenn wir sie nicht bestehen könnten“. Außerdem kann der Mensch nicht im Kern schlecht sein, weil „der Herr keine verdorbenen Werkzeuge geschaffen hat“. Dann aber sind seine Gefühle doch stärker als jede Theologie, was wiederum den Zuschauer freut. Haben nicht die Berliner Prostituierten das richtigere Weltbild, wenn sie den Spaziergänger fragen: „Na Süßer, wollen wir was Schönes zusammen machen?“

Der Film wurde 2009 in Cannes gezeigt und ist ab morgen in deutschen Kinos zu sehen. Die französische Presse hat „Du sollst nicht lieben“ ebenfalls gefeiert, was nicht weiter erstaunlich ist: Tabakman dirigiert durch spärliche Kulissen eine ganze Reihe hervorragender Schauspieler, die das Handwerk kleiner Gesten und vielsagender Blicke verstehen. Die ruhige Kamera observiert Leute, die sich langsam, wie im Traum oder durch dicke Luft zu bewegen scheinen und nur das Nötigste miteinander sprechen. Es sind schöne, vielleicht sogar etwas zu schöne, zu stilisierte Bilder, die Kameramann Axel Schneppat aufgenommen hat.

Man darf es ruhig Orientalismus nennen, wenn europäischen Zuschauern so angeboten wird, durchs Schlüsselloch der mittelalterlich anmutenden Welt jüdischer Orthodoxer zu schauen. Man fragt sich schon irgendwann, wo die Filme sind, die in hiesigen Priesterseminaren spielen, die einen Blick hinter die Kulissen der orthodoxen katholischen und protestantischen Gemeinden werfen.

Aber auch das wären Postkarten aus einer Welt, die als das ganze andere codiert ist. Die Orthodoxie muss an ihrer Rechtgläubigkeit ja nur deswegen als wichtigstem Charakteristikum festhalten, weil Glaubensfragen und überhaupt Fragen danach, wie man leben soll, für alle anderen nur mehr Privatsachen, persönliche Entscheidungen sind. Damit sind sie aber auch keine Fragen gesellschaftlicher Relevanz mehr. Vielleicht weil die Säkularen scheinbar selbst entscheiden – und sich doch getrieben und überfordert fühlen –, schauen sie so gern auf die Orthodoxen. Das Outsourcing der eigenen Widersprüche und offenen Fragen ist irgendwie erleichternd. Aber vielleicht auch nicht so spannend. ULRICH GUTMAIR

■ „Du sollst nicht lieben“. Regie: Haim Tabakman. Mit Zohar Strauss, Ran Danker, Tinkerbell u. a. IL/F/D 2009, 90 Minuten