Ein anderes Polen ist möglich

LINKE INTELLIGENZ Wir sind ja so glücklich im gelobten Land jenseits aller Alternativen: Die politisch engagierte Theaterszene Polens präsentiert sich facettenreich bei dem Festival „Polski Express III“ im HAU-Theater

Eine junge, aber wilde kapitalistische Karriere – und kritische Interventionen dagegen

VON PHILIPP GOLL

Kurz nachdem der polnische Präsident Lech Kaczynski durch ein Flugzeugunglück ums Leben kamen, konstatierte Michal Zadara, einer der wichtigsten Regisseure des gegenwärtigen polnischen engagierten Theaters: „Die Theater sind für eine Woche geschlossen. Staatlichen Galerien sind für eine Woche geschlossen … Die Geschäfte sind geöffnet. Kneipen sind geöffnet. Kirchen sind geöffnet. Der Fernseher läuft.“ Es solle genau umgekehrt sein, „das wäre die schönste Weise der Erinnerung an die Opfer der Katastrophe“.

Hinter dieser Feststellung lässt sich das Selbstverständnis einer Theaterszene ablesen, die ihre Arbeit als kritische Intervention in die öffentliche Sphäre versteht; zu intervenieren gibt es da ja auch wirklich genug, schließlich wird diese Sphäre bestimmt vom permanent abrufbaren Opfermythos Polens wie von neoliberalen Kalküldenken oder – ganz nach Marktlage – nationalkonservativen Ressentiments.

Das heute im HAU beginnende Theaterfestival „Polski Express III“ gibt einen Einblick in diese Theaterszene. Mit Jan Klata („Das gelobte Land“) und Krzystof Warlikowski („(A)polonia“) sind Regisseure vertreten, die mittlerweile schon zu den Vätern dieses engagierten Theaters zählen, das Ende der 90er in Polen entstand. Ihre Inszenierungen waren schon während „Polski Express II“ (2006) zu sehen. Daneben wurden nun vor allem auch junge Regisseurinnen ans HAU geholt. Agnieszka Olsten („Samsara Disco“), Barbara Wysocka („Kaspar“) und Harakiri Farmers & Ana Brzezinska („We Are Oh So Lucky“) gehören zu den derzeit erfolgreichsten Theatermacherinnen in Polen. Und mit der israelischen Videokünstlerin Yael Bartana, die mit einem Livetrailer des dritten Teils ihrer Polentrilogie über das jüdische „Renaissance Movement in Poland“ das Festival eröffnet, wird eine Performance (mit Susanne Sachse und Slawomir Sierakowski) zu sehen sein, die einen nicht weniger kritischen Zugang zu polnischen Befindlichkeiten wählt, indem sie den polnischen Antisemitismus thematisiert, der Polens aktuellste Anrufung seines Opfermythos in ein denkbar künstliches Licht stellt.

Dass die Fragen, die die zeitgenössische polnische Kunst stellt, längst nicht mehr nur jenseits der Oder relevant sind, das zeigte schon die Ausstellung „Early Years“ in den Kunst-Werken, die ebenso wie „Polski Express III“ Teil des deutsch-polnisch-indischen Kulturprojektes „The promised City“ war. In „Early Years“ wie auch nun bei „Polski Express III“ geht es um Kunst, die das Politische großschreibt und souverän postmoderne Borniertheiten über ein Ende der großen Erzählung oder gar der Utopie unterhöhlt. So collagiert Jan Klata in „Das gelobte Land“ den gleichnamigen Roman von Wladislaw Reymont, der in der Textilindustriestadt Lodz Ende des 19. Jahrhunderts spielt, mit Oliver Stones Film „Wallstreet“ und stellt die so einfache wie – nicht nur für Polen – zentrale Frage: Welchen Mechanismen unterliegt die angeblich beste aller Welten, und warum lebt es sich für die meisten so schlecht in ihr? Neben der Thematisierung der zwar noch jungen, aber wilden kapitalistischen Karriere Polens geht es Barbara Wysockas um die sprachlichen Mechanismen der Vergesellschaftung, die sie mit der Geschichte von Kaspar Hauser (nach Peter Handkes „Kaspar“) untersucht. Doch auch hier lässt sich eine Frage nach gesellschaftlichen Alternativen erkennen, die jedoch, sobald es um die Sprache als Kommunikationsmedium geht, zu einer Systemfrage wird. Ebenso wie aus dem kapitalistischen System, zu dem es heute scheinbar keine Alternative mehr zu geben scheint, kann man nicht aus dem Gefängnis der Sprache entfliehen.

Eine Wiederbelebung

„Diesmal wollten wir das polnische Theater eher vom Politischen ausgehend zeigen“, betont die Kuratorin Stefanie Wenner. „Polski Express III“ scheint in diesem Sinne ein ungewöhnliches Theaterfestival zu werden. Statt in Podiumsdiskussionen über die Situation des gegenwärtigen polnischen Theaters zu diskutieren, wird an fünf Abenden Krytyka Polityczna (Politische Kritik) zu Gast sein. Als Zeitschrift, Verlag und Netzwerk aus jungen Intellektuellen, Künstlern und Publizisten steht das Projekt für eine Wiederbelebung der polnischen linken Intelligenz.

Man mag sich fragen, inwiefern die etwas schematisch anmutende Absteckung von Claims wie Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kunst Überraschendes hervorzubringen könnte. Doch zumindest der Abschlussvortrag, in dem es um die Utopie geht, lässt die Vermutung zu, dass es bei „Polski Express III“ nicht nur um eine künstlerische Beschäftigung mit gesellschaftlichen Alternativen geht – und auch darum, dass ein anderes Polen als das landläufig bekannte möglich ist.

■ Noch bis 5. Juni Infos: www.hebbel-am-ufer.de