ES GAB VIELE MÄNNER AUF VIELEN BÜHNEN AN DIESEM WOCHENENDE
: Erst beseelt von Erich Mühsam, dann schlecht beraten vom Barkeeper

VON SONJA VOGEL

Freitag war der schönste Tag meines Lebens. Denn am Freitag traten Harry Rowohlt und Thomas Ebermann („Lesung“) gemeinsam mit Knarf Rellöm, Manuel Schwiers und Frank Spilker („Konzert“) mit Texten von Erich Mühsam im Festsaal Kreuzberg auf. Den Abend über alle Maßen zu loben, hatte ich mich bereits vor der Veranstaltung hinreißen lassen. Und das, obwohl ich schon als Teenager aufgehört habe, Mühsam zu lesen. Dass sein Tagebuch überwiegend von seiner Syphilis handelte, hatte mich an seinem revolutionären Willen zweifeln lassen.

In Kreuzberg kommt die egomane Koketterie, mit der er von Armut, unbefriedigten Bedürfnissen und körperlichen Gebrechen erzählt, gut an. Mühsam ist brillant in der Zuspitzung der gesellschaftlichen Zustände. Damit machte er sich nicht nur die Nazis zum Feind, sogar die Anarchisten verstießen ihn. Vielleicht liegt es auch an Rowohlt und Ebermann, die Geschichten wie diese vorzutragen wissen: Wieder einmal blank, beriet sich Mühsam mit dem Freund Paul Scheerbart beim letzten Schnaps. Niemand pumpt ihnen mehr etwas, und darum soll eine Zeitung voll mit Lügen Geld bringen. Der Name: „Das Vaterland“. Ein erster Textentwurf: „Es ist Herbst – die Blätter fallen.“ Von dem Geld, das eine Gründungsversammlung spendete, begaben sich die beiden umgehend auf eine Tour, die sie „bis zum nächsten Morgen beschäftigte“. Aus der Zeitung wurde nichts.

Noch vor der Pause verlässt ein junger Mann polternd den Saal. Er hat nicht verkraften können, dass ein „Verlierer“ wie Mühsam von „Gewinnern“ wie Rellöm und Spilker vertont wird. Und obwohl der Ernst nervte, mit dem die Musiker Lieder wie den „Max-Hölz-Marsch“, den Rellöm „im Stil von Bo Diddley“ ankündigte, oder das schöne Lied „Schnaps“ vortrugen, schepperte es doch genug. Jedenfalls genug für uns, die wir nach zwei 0,33-Flaschen Bier nach Hause gingen.

Dass es sehr wohl anders geht, macht mir tags drauf die Freundin klar, die ich nach Veranstaltungsende versetzt hatte und die deshalb mit einem Teil der Künstler loszog. Sie sagt das Abendessen ab. Begründung: „Noch nicht gesellschaftsfähig. Ging noch länger gestern.“

Den Plan, selbst zu grillen, geben wir daraufhin auf, um uns bei „City Chicken“ auf der Sonnenallee riesige Grillhähnchen reichen zu lassen. In der nächsten Kneipe spülen wir die Trauer über die aus purer Not halb voll zurückgelassenen Teller ausgiebig hinunter und kommen erst spät im Basso an, wo wir tanzen wollen. Auf der Bühne aber trägt ein schnauzbärtiges Herrenduo einen auf charmante Art unerträglichen Mix aus Elektro, Country und Sprechgesang vor. Erst danach erlöst uns Tanzmusik. Wegen der langen Schlange vor dem Klo bin ich gezwungen, die Getränkewahl zu überdenken. Schlecht beraten vom Barkeeper, der zum Schnauzbart einen Fez trägt und mir darum kompetent erscheint, reihe ich mich ein ums andere Mal ein. Öffnet sich die Klotür, erscheint der Schriftzug „Fuck your intifada-romanticism!“

Im Basso ist es heiß und viel zu stickig. Und dann scheint auf das Herrenduo, das mittlerweile das DJ-Pult regiert, auch schon die Morgensonne. Die Schnauzbärte: entzaubert. Ich wecke meine Begleitung. Zeit, zu gehen. Stunden später stehe ich auf dem Rollfeld des Flughafen Tempelhofs. Der Wind peitscht. Am Himmel: schwarze Wolkentürme. Am Boden: hunderte von Menschen in Schwaden von Grillrauch. Lange schaue ich über den Zaun in den Hundeauslauf. Ein Betrunkener, die Schlappen in der einen Hand, die Flasche in der anderen, hat hier seinen großen Auftritt. Aus sicherer Entfernung recken Hundebesitzer die Fäuste gegen ihn. Eigentlich hatte ich ja Karten für den Admiralspalast: „Speed dating“ mit Nagel und Linus Volkmann.

Doch noch mehr Männer auf Bühnen hätte ich an diesem Männer-Bühnen-Wochenende nicht ertragen können.