Norm und Erfahrung

TOLERANZ Feridun Zaimoglu und Rainer Forst im Gespräch

Kopftuch und Burka sind also Privatsache

Im Frankfurter Kunstverein diskutierten der Philosophieprofessor Rainer Forst, Sprecher des Forschungsverbunds „Normative Ordnungen“, und der Schriftsteller Feridun Zaimoglu über Toleranz – einen ebenso schwierigen wie unklaren Begriff. Ihre Positionen sind entschieden unterschiedlich: Feridun Zaimoglu beschreibt in seinen schönen Geschichten und Romanen die Schwierigkeiten des multikulturellen Zusammenlebens. Der bekennende „altmodische Humanist“ – Zaimoglu über sich selbst – interessiert sich für die Menschen und ihren Alltag und erfuhr, was „gelebte Toleranz“ bedeutet, bei zahlreichen Lesungen in Kleinstädten. In Großstädten werde dagegen weniger Toleranz gelebt als vielmehr kalte Indifferenz zwischen sozial, kulturell und religiös weitgehend abgeschotteten Teilgesellschaften. Zaimoglus Geschichten handeln vom Leiden der Menschen an diesen Trennungen und von der Utopie toleranten Zusammenlebens.

Rainer Forst dagegen, der 2003 eine große Studie zur Geschichte und Theorie der Toleranz vorgelegt hat, zeichnete die normativen Grundlagen von Toleranz nach. Toleranz kommt immer ins Spiel, wenn jemand etwas für falsch oder störend hält. Die Konsistenz individueller Erfahrungen und Urteile (und Vorurteile) muss sich an sachhaltigen Begründungen messen lassen, die der öffentlichen Kritik standhalten müssen. Wenn es schließlich um die Festlegung von Grenzen der Toleranz geht, kommen zu den sachhaltigen Gründen normative Entscheidungen nach Maßgabe von universellen Menschenrechten, sozialer Gerechtigkeit und Fairness ins Spiel. Die rechtlichen Grenzen der Toleranz werden in demokratisch legitimierten Verfahren, die sozialen Regeln und kulturellen Standards dagegen im öffentlichen Diskurs ausgehandelt. Wachsende kulturelle und religiöse Unterschiede in modernen Gesellschaften machen diesen diskursiven Prozess nicht einfacher, sondern komplizierter: Toleranzkonflikte werden zahlreicher.

Auf dieser normativen Grundlage erledigen sich im demokratischen und religiös neutralen Rechtsstaat vermeintliche Probleme ganz schnell: Kopftuch und Burka fallen unter die Kleiderordnung, sind also Privatsache. Die Beschneidung von kleinen Mädchen dagegen ist eine Körperverletzung und fällt unter das Strafrecht. Dessen Normen stehen nicht im Belieben von religiösem oder kulturellem Brauchtum.

Trotz der guten Ausgangslage kam kein Gespräch zustande zwischen Zaimoglu und Forst. Das lag an der Wurstigkeit und intellektuellen Unzulänglichkeit des Moderators Peter Stiller, der sich in Talkmastermanier auf Späßchen kaprizierte, statt Zaimoglu zur normativen Basis seines Toleranzverständnisses und Rainer Forst zur Realitätstüchtigkeit seiner „Begriffsklöppelei“ (Forst) zu befragen. Fazit: eine vertane Chance. RUDOLF WALTHER