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: Kanonen futtern Menschen

„Overlord“, Regie: Stuart Cooper, Großbritannien 1975, 83 Min., mit mehreren Interviews mit Beteiligten und ausführlichem Booklet, für rund 20 Euro im Handel

Cooper erliegt kaum der Versuchung, falsch zu ästhetisieren. Die Hitze des Gefechts kühlt er auf elliptische Sachlichkeit runter

Es ist immer schön, wenn etwas gelingt. Besonders schön jedoch ist es, wenn etwas gelingt, von dem man eher nicht gedacht hätte, dass es was werden kann. Also zum Beispiel die Verbindung von dokumentarischem Bildmaterial aus dem Zweiten Weltkrieg mit einer dazwischengestellten Spielfilmhandlung, die von einem Soldaten erzählt. Genau das nämlich nimmt Stuart Cooper sich in seinem Film „Overlord“ von 1975 vor – der Titel verdankt sich dem Codenamen für die alliierte Invasion in der Normandie. Etwa ein Drittel der achtzig Minuten besteht aus Dokumentarmaterial. Man sieht fliegende Bomber, man sieht abgeworfene Bomben, man sieht Explosionen und brennende Häuser, man sieht Städte vor und während ihrer Zerstörung von oben und teils auch von unten und man sieht sogar ganz zu Beginn einmal Adolf Hitler im Flugzeug.

Dazwischen Michael Beddows (Brian Stirner), ein keineswegs besonderer junger Mann. Er wird eingezogen, ausgebildet und zieht für Großbritannien in den Krieg. Das zeigt der Film, und zwar in Bildern, denen man heute ansieht, dass Stanley Kubrick sie gut gekannt hat, als er später „Full Metal Jacket“ drehte. In kühler Elliptik stellt Regisseur Cooper militärischen Drill neben Kameradendialoge und schneidet die realen Kriegsbilder dazwischen. „Wir sind Kanonenfutter“, sagt spät im Film einer der Soldaten. Das Verfahren des Films ist es, könnte man sagen, dieses Wort auseinanderzunehmen und die Kanonen und den Menschen, den sie töten werden, mit der Mechanik eines präzise und hochelegant funktionierenden Uhrwerks zueinanderzuführen. Dafür wird der Held notdürftig individualisiert, indem er beim Tanz etwa eine Frau kennenlernt, mit der er sich eine Zukunft, die er nie haben wird, vorstellen darf.

Eisig und kühl ist „Overlord“, aber er leugnet das Feuer und das Pathos der Kriegsmaschinerie nicht. Wirklich spektakulär sind die in jahrelanger Sichtung aus den Beständen des „Imperial War Museum“ ausgewählten Archivbilder der Schlachten. Feuer und Druckwellen beim Einschlag, das aufblitzende Licht in der Nacht, spinnenartige Stacheldrahtmalmer und vorantaumelnde Riesen-Radwalzen: das sind teils atemberaubende Aufnahmen. Und doch erliegt Cooper kaum der Versuchung, falsch zu ästhetisieren. Er ist, wenn er die Hitze des Gefechts auf elliptische Sachlichkeit runterkühlt, selbst sichtlich Kubrick-geschult. Was kein Zufall ist, denn sein Kameramann John Alcott hat „Clockwork Orange“ und – im selben Jahr wie „Overlord“ – „Barry Lyndon“ mit Kubrick gedreht.

Alcott und seinen Bildern ist es zu verdanken, dass die Fiktion sich gegen die Dokumentarbilder behauptet. Aber auch der Sinn der Montage und der Dialoge für das Verhältnis von präziser Beobachtung und abrupter Auslassung ist durchweg bewundernswert. Heraus kommt ein Bilderbogen in analytischer Absicht. Und trotz der mit technischer Perfektion betriebenen stilistischen Annäherung von Archiv- und Spielfilmmaterial zielt „Overlord“ nicht auf den realistischen Effekt der Schließung des Illusionsraums. Das eine greift so überzeugend ins andere, gerade weil der Unterschied zwischen „found footage“-Material und Spielfilmszenen nicht geleugnet wird. Ein Pathos der Sachlichkeit bleibt bei dem gewählten ästhetischen Verfahren nicht aus. Es ist dies aber das gerade Gegenteil der emotionalen und moralischen Hocherhitzung, auf die der Kriegsfilm sonst gerne setzt.

Man kann dem „Bildstörung“-Label nur gratulieren, dass es den fast vergessenen Film, der einst sogar den Silbernen Bären gewann, wieder zugänglich macht. Sein Regisseur Stuart Cooper dreht heute unter Pseudonym nur noch grottige Direct-to-Video-Ware – das scheint angesichts dieses ganz und gar faszinierenden Werks schwer begreiflich. EKKEHARD KNÖRER