Kunst der Kommunikation

C/O-POP Das Internet ist zum Teilchenbeschleuniger des Pop geworden, dank des Siegeszugs sozialer Netzwerke. Ein taz-Gespräch mit dem Multimediaberater Ralf Plaschke

INTERVIEW MORITZ SCHULZE-BECKINGHAUSEN

taz: Herr Plaschke, Sie bieten auf der heute in Köln beginnenden Messe „c/o Pop“ einen Workshop zur effektiven Nutzung von sozialen Netzwerken an. Was genau ist im Umgang mit diesen Angeboten überhaupt zu lernen?

Ralf Plaschke: Nutzer von sozialen Netzwerken sehen sich damit konfrontiert, die ganze Masse an Kleinteiligkeit, die solche Plattformen mit sich ziehen, zu bewältigen. In der professionellen, geschäftlichen Kommunikation kommen viele Aspekte aus dem klassischen Aufgabenfeld des Marketing hinzu. Bis zu einem gewissen oberflächlichen Grad funktioniert das wie früher. Der erste Schritt ist dann oft die Erkenntnis: Wir haben ganz viel Inhalt. Und schon hier fangen die Probleme an: Wo genau ist der Inhalt und wer hat die Rechte daran?

Betreuen Sie klassische Arbeitssegmente, die schon aus anderen Bereichen der Wirtschaft zu gut bekannt sind wie Organisation und Arrangement?

In der Welt der Mode etwa ist es äußerst wichtig, sich in den sozialen Netzwerken aktuell zu präsentieren. Fragt man nach den Inhalten, geht es als Erstes um die Präsentation von neuen Kollektionen. In der Regel passiert das einmal im Herbst und einmal im Frühjahr. Was passiert im Rest des Jahres? Der konstante Fluss an für die Nutzer relevanten Inhalten ist die Essenz für eine erfolgreiche Präsentation. Das erfordert eine solide Organisation von der Inhaltsgenerierung aufwärts.

Welche Konzepte und Angebote sind im Aufwind und welche Plattformen werden weniger genutzt als früher?

Dort, wo Myspace noch vor zwei Jahren mit deutlichem Vorsprung stand, ist in den letzten Jahren Facebook davongezogen. Die Erfahrung der Plattform ist für die User viel angenehmer, denn man muss weniger klicken und es ist viel bequemer, die Informationen an einem vorbeilaufen zu sehen. Die von Musikern geschätzte Seite Soundcloud hingegen setzt an einem ganz anderen Punkt an: Hier steht nicht ein fertiges Produkt im Mittelpunkt, sondern der Musikmachende im engen Austausch mit Gleichgesinnten während des Schaffensprozesses. Was wiederum seine ganz eigene Dynamik besitzt und auch nur bis zu einem bestimmten Grad wachsen kann.

Auch wenn ein Netzwerk wie YouTube sämtliche Justin-Bieber-Videoclips für deutsche Internetnutzer sperrt, scheint es keine Konsequenzen für die Begeisterung der Fans zu haben. Wie kompensieren diese einen solchen rechtlichen Eingriff?

Mit zwei verschiedenen Ansätzen kommt man der Problematik sehr nah: Erst einmal hat die traditionelle Musikbranchenstruktur mit lokal unterschiedlichen Veröffentlichungsterminen keine Zukunft mehr. Fans wollen und kommen auf irgendeinem Weg immer an den Content, egal ob sie jetzt den Tonträger im Ausland bestellen oder sich auf illegale Tauschbörsen begeben. Gleichzeitig kann eine Plattform, so mächtig YouTube auch sein mag, nicht davon abhalten, dass Fans auch auf anderen Ebenen ihren Bedarf an Content stillen, wenn diese es nicht anbietet.

Der Eigenantrieb scheint so groß zu sein, dass sie sich nicht von einer Abschaltung abhalten lassen…

Das hängt vor allem damit zusammen, dass man kein besonders schlauer User sein muss, um gewünschte Inhalte auch anderswo zu finden. Die Banalität eines Plug-Ins für den Browser, das mit einem Klick aus einem Video eine MP3-Datei macht, führt das sehr gut vor Augen. Zu viele innerhalb der Musikbranche scheinen das noch nicht realisiert zu haben. Studien wie die „Pricewaterhouse Media Outlook“ belegen, dass 2011 in den USA mehr Erlöse aus digitalen als aus physischen Tonträgerverkäufen erfolgen und ab 2014 auch die gesamten Umsätze wieder steigen werden.

Auch die von der Media Control erhobenen Verkaufszahlen für den deutschen Markt, bei dem 2009 über 80 Prozent der Verkäufe von Musik-Singles digital vonstatten gingen, zeigen diese Tendenz auf.

Einen viel zu oft unterschätzten Einfluss hat die Unmittelbarkeit der Angebote: Es passiert ein Ereignis, wie beispielsweise ein Festival oder Auftritt in einer TV-Sendung, und man hat maximal einen Tag danach noch einen daraus ausgelösten Impuls. Wenn die damit verbundenen Angebote jedoch schwer zu finden oder gar nicht veröffentlicht sind, ist die Chance vertan. Die potenziellen Kunden kommen nicht so einfach selbstständig wieder, sondern folgen diesen Impulsen. Als Unternehmer muss ich die in den sozialen Netzwerken liegenden Codes beachten, denn Fans merken sehr schnell, wenn ihnen etwas vorgemacht wird.

Viele Künstler betreuen ihre Profile auf diesen Plattformen schon lange nicht mehr selbst. Manager und Plattenfirmen erwecken jedoch genau diesen Eindruck, die Künstler stünden im direkten Kontakt zu ihren Fans.

Die Erkenntnis, dass sie gar nicht persönlich kommunizieren, ist nicht so schlimm. Dementsprechend muss man aber auch mit den Fans umgehen und nicht versuchen, eine künstliche Nähe aufzubauen. Die Größen der Szene produzieren diese Inhalte selbstständig und nutzen lediglich die Vertriebe und Infrastruktur der Großkonzerne, um ihre Produkte zu verbreiten. Wichtig ist es, eine authentische Nähe zu schaffen, die sich mit dem Stellenabbau in den Medienkonzerne nicht wirklich einfach gestaltet.

Sind Chats in Netzwerken inzwischen wichtiger als analoge Gespräche?

Nein, Informationsflüsse, die auf den Netzwerken vorbeirauschen, erwecken doch erst Bedürfnisse nach einem direkten Austausch. Durch diese Plattformen bekommen viele Menschen erst mit, woran du derzeit arbeitest. Bei mir persönlich äußert sich das darin, dass ich viel weniger telefonieren muss, um herauszufinden, wer sich gerade womit beschäftigt. Foren wie die Re:publica, die als zentral webbasierte Plattform agieren, oder aber auch unsere Branchenstammtische versammeln sich immer häufiger auch physisch. Es bildet sich vermehrt ein Bewusstsein dafür, dass oft aus dem Kontext des direkten Gesprächs und seiner Atmosphäre viele gute, andere Ideen im direkten Austausch entstehen.