Das Geld fehlt, da hilft nur beten

THEATER DER WELT Die Heilige Barbara und ein reicher Scheich: Beim Auftakt des Festivals „Theater der Welt“ in Essen und Mülheim punkteten die Projekte mit regionalem Bezug

Die Globalisierung erzeugt paradoxe Notwendigkeiten, nach regionaler Zugehörigkeit und Öffnung gegenüber dem Anderen

VON ESTHER BOLDT

Das Ruhrgebiet ist eine Baustelle, voller Lücken und Leerstände. Beispielsweise hinter der Essener Zeche Zollverein, wo man ein Hotel unter Tage errichten könnte mit Aussicht auf die Kohlenflöze. Sheikh H. Yamani steht auch schon mit 150 Millionen Euro als Investor bereit, allein, die notwendigen Genehmigungen kommen nicht nach.

Wirklich? Darüber streiten sechs Herren am Tisch – unter ihnen Rolf Heyer, Geschäftsführer von NRW Urban, Wolfgang Kintscher, Journalist bei der Neuen Ruhr Zeitung, der Architekt Kaspar Kraemer und Planungsdezernent Hans-Jürgen Best. Doch sie treffen sich nur per Videokonferenz an dem ovalen, schweren Tisch auf der Bühne des Mülheimer Ringlockschuppens: Die Antwerpener Gruppe Berlin, Experten für Site-specific-Projekte, holen sie via Flachbildschirme zusammen. In ihrer Performance „Tagfish“ skizziert sie klug und witzig Wahn und Wirklichkeit von Stadtentwicklungsprojekten nach, hochfliegende Fantasien, bürokratische Hindernisse und abwesende Gelder.

Aus Vision wird Warterei

Denn der Sessel des Sheiks bleibt leer, und die Diskussionen laufen zunehmend ins Leere. Aus der Vision wird Warterei, das Dokufiktionsspiel – den Scheich gab es durchaus einmal – mündet in Ratlosigkeit.

„Tagfish“ gehörte zu den Projekten, mit denen das Festival „Theater der Welt“, das alle zwei Jahre in einer anderen Stadt seine Zelte aufschlägt, in Essen und Mülheim eröffnet wurde. Klar geht die Standortwahl auf das Ereignis Ruhr 2010 zurück.Gleich am ersten Wochenende setzte sich das Festival unter der künstlerischen Leitung von Frie Leysen bei ortsspezifischen Projekten mit der Region auseinander, untersuchte jedoch auch die Konfliktlinien internationaler Beziehungen. Es wagte den Sprung zwischen Internationalem und Regionalen und tastete die komplexe globalisierte Gegenwart aus der Geschichte heraus ab. Mit Oper, Film, Tanz und Lecture-Performance wurde erprobt, wie Fremdes in Eigenes übersetzt wird und was mit den Resten geschieht.

So handelt die Eröffnungsinszenierung, Carl Heinrich Grauns Barockoper „Montezuma“, von einem Umschlagspunkt in Mexikos Geschichte, dem Eindringen der Spanier 1519 und dem Sturz des Aztekenkönigs Montezuma II. Das Libretto schrieb Friedrich II. Der preußische König legte seine Vorstellungen eines guten Herrschers in die Figur des naiven Wilden, während er Hernán Cortés zum skrupellosen Herrenmenschen stilisierte.

Diese sehr europäische Sicht bricht die Inszenierung des mexikanischen Regisseurs Claudio Valdés Kuris leider kaum auf, sie folgt vielmehr der Schwarz-weiß-Zeichnung. Cortés (Adrián George Popescu) ist ein agiler Enteignungskünstler, der Aztekenkönig (Flavio Oliver) von großherziger Gestalt. So bleibt die Inszenierung überraschend konventionell und wenig inspirativ. Thematisch hätte sie einen fruchtbaren Faden legen können, der sich unter anderem in Wael Shawkys Film „The Cabaret Crusades“ über den Beginn der Kreuzzüge und die Eroberung Jerusalems fortführt. In ihm spielt der ägyptische Künstler mit 200 Jahre alten Puppen entscheidende Episoden nach und hält mindestens die befremdliche Erfahrung bereit, den Sendungsbefehl von Papst Urban II. auf Arabisch zu hören.

Barbaren und Ungläubige, lehren uns „Montezuma“ und Shawky, sind immer die Anderen. In seiner Führung „!Barbara – Rabarbara!“ verbindet Hans Peter Litscher lässig beide Leitmotive des Eröffnungswochenendes. Auf dem Dachboden der Villa Rauen in Mülheim hat Litscher die Barbara-Sammlung des Versicherungsstatistikers und Komponisten Ernst Adolf Steiger gefunden. In einem staubigen, verlebten Trakt der Jugendstilvilla führt Litscher seine Gäste nun durchs „Barbarium“ – einer absurden Anhäufung von Flohmarktkrempel und Leihgaben aus Bergbaumuseen, bei der die Dinge selbst allerdings eine geringere Rolle spielen als Litschers bedeutungsstiftende Erzählung.

Funde vom Dachboden

Hier entsteht eine zwischen Realität und Fiktion schillernde Biografie inklusive Transsexualität, stochastischer Musik und kruden Altären für die Heilige Barbara, Schutzheilige der Bergleute. Auch Litschers Panoptikum entwirft Identität als flexiblen Faktor, das Subjekt richtet sich am Fremden auf und wird von ihm bestimmt. So machen die Produktionen des Festivals vielschichtig den grenzüberschreitenden Charakter von Kunst und Geschichte erlebbar, berichten von Verunsicherungen und Potenzialen der fortgeschrittenen Globalisierung mit ihrer paradoxalen Notwendigkeit nach regionaler Zugehörigkeit und Öffnung gegenüber dem Anderen.

www.theaterderwelt.de