Diese Maus ist sehr gefährlich

KLASSIKERWERDUNG Brian Burton, der 27-jährige afroamerikanische Musiker und Produzent, liefert Irritationen und Ingeniöses am laufenden Band. Unter seinem Alias Dangermouse hat er nun das Album „Dark Night of the Soul“ veröffentlicht. Anders als der Titel vermuten lässt, zeigt die Musik in Richtung psychedelischen Pop

Es gehört zu Burtons Handschrift, musikalisches Material in ein klangliches Plasma zu verwandeln

VON ARNO FRANK

Leute gibt’s, die halten allein schon die Vorstellung einer singenden Paris Hilton für ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Oder doch zumindest für ein soziokulturelles Ärgernis, das mit asymmetrischen Mitteln bekämpft werden muss. Und so tauchte 2006 in der Londoner Plattenladenkette HMV eine sehr spezielle Version von „Paris“ auf. Auf dem Cover des Debüt-Albums der millionenschweren Hotel-Erbin wurden überraschend kritische Songs angekündigt: „Why Am I Famous?“, „What Have I Done?“ und „What Am I For?“. Im Booklet waren ihr besonders blasierte Zitate in den Mund gelegt, von „Life wasn’t meant to be fair“ bis „Every CD you buy puts me even further out of your league“.

Die dazugehörige Musik war ein 40-minütiger, durchaus ermüdender Remix einiger ihrer dümmsten Statements. Als sich die ersten Kunden beschwerten, wurden 500 dieser seltsamen „Paris“-Exemplare entdeckt und rasch aus dem Verkehr gezogen. Die beiden Urheber bekannten sich mit einer dürren Erklärung zu ihrer Tat: „Es ist schwer, Perfektion zu verbessern. Aber wir mussten es versuchen.“

Eine gewisse Rolle

Das Artwork hatte der britische Graffiti-Anarchist Banksy umgestaltet. Die Musik stammte vom US-amerikanischen Musiker und Produzenten Brian Burton, der auch vier Jahre später im Gespräch nur vorsichtig einräumen will, bei „dieser Sache eine gewisse Rolle“ gespielt zu haben. Und dann doch darüber nachsinnt, ob dieser Streich nicht vielleicht „das Lustigste gewesen sein könnte, was ich je im Leben gemacht habe“.

Was seltsam klingt aus dem Munde eines Künstlers, in dessen Werk alles Komische gefährlich dicht am Abgrund des Tragischen siedelt. Das beginnt schon mit dem Pseudonym, unter dem der 32-Jährige inzwischen zu Weltruhm gelangt ist: Danger Mouse ist der gleichnamigen britischen Zeichentrickserie entlehnt, in der eine Maus mit Augenklappe geheimdienstliche Abenteuer erlebt. Zugleich ist er unter diesem Namen für einige der größten Pop-Erfolge des vergangenen Jahrzehnts verantwortlich. Als Songschreiber wie als Produzent. Normalerweise versuchen sich Songwriter, von Ambitionen gepackt, erst im Herbst ihrer Karriere auch mal an den Reglern. Bei Danger Mouse verlief diese Entwicklung genau umgekehrt, und seine Karriere hat ihren Scheitelpunkt noch lange nicht erreicht.

An ihrem Anfang stand ein privater Jux, dessen Resultat 2004 als Frontalangriff auf das Urheberrechtsverständnis der Musikindustrie verstanden wurde und ein ganz eigenes Genre begründen sollte: das Mash-up. In seiner Wohnung lagen die A-Capella-Version des „Black Album“ von dem Rapper Jay-Z und das „White Album“ der Beatles zufällig nebeneinander. Aus einer Laune oder Eingebung heraus stürzte sich Burton 2004 in die ziemlich nerdige und sehr langwierige Bastelarbeit, sämtliche Perkussion-Elemente der Beatles akustisch zu atomisieren, um daraus ein neues Beatgerüst für die Raps von Jay-Z zu schweißen. „Das wollte ich damals eigentlich nur meinen Freunden zeigen, die in Bands spielten. Oder meinen Eltern, falls die mal wieder fragen sollten: Brian, was machst du eigentlich so?“

Die Arbeit nahm mehrere Wochen in Anspruch, in denen Burton vor allem fürchtete, „dass jemand anderes auf die gleiche Idee kommt, weil es mir so naheliegend schien“. Das kuriose Ergebnis sollte Beatles- wie HipHop-Fans gleichermaßen verschrecken, völlig neue Hörerschichten erschließen und als „Grey Album“ in die Popgeschichte eingehen. „Und dann wurde es wichtig, schätze ich mal“, seufzt Burton heute: „Es glitt mir aus den Händen.“

Vor allem landete dieser monumentale Konzeptbastard über das Sampling als eigenständige Kunstform nicht nur in der Rechtsabteilung der Plattenfirma EMI, die alle Rechte an den Beatles-Songs verwaltet und Burton mit Abmahnungen die Hölle heiß machte. Sondern fiel auch Damon Albarn in die Hände, der gerade auf der Suche nach einem geeigneten Produzenten für sein zweites Gorillaz-Album „Demon Days“ war – das ironischerweise ebenfalls bei der EMI erscheinen sollte. Es war der Beginn einer langjährigen Hassliebe zwischen Konzern und Künstler, während der Künstler schon mit seiner Rolle als Produzent zu hadern begann. Produzentenkollegen wie Phil Spector setzten auf gnadenlose Opulenz, ein Rick Rubin auf spröde Kargheit, wieder anderen war es um einen möglichst authentischen Raumklang zu tun. Es gehört zu Burtons unverwechselbarer und ingeniöser Handschrift, das musikalische Material mit akribischer Sorgfalt in ein klangliches Plasma zu verwandeln, über das er dann ähnlich absolut verfügen kann wie ein Tricktechniker beim Film über seine CGI-Monster. Von den Gorillaz über Beck, The Rapture, Sparklehorse bis zu den The Black Keys – was Danger Mouse produziert, klingt auch nach Danger Mouse. Das kann auch nach hinten losgehen, wie im Fall der Folksängerin Joker’s Daughter: Hier wirkt die perfekte Produktion wie eine allzu aufwendige Schminke auf einem allzu schlichten Gesicht. Der nächste logische Schritt konnte da nur sein, die Songs gleich für sich selbst zu schreiben. So auf „St. Elsewhere“, dem Debütalbum des Soulpop-Duos Gnarls Barkley, das Burton mit dem ehemaligen Rapper Cee-Lo bildete.

Obgleich die Single „Crazy“ mit ihrer aus einem Spaghetti-Western entlehnten Leitmelodie zum sonnigen Sommerhit des Jahres 2006 avancierte, lauerte auf dem Album in allen lyrischen Ritzen der Abgrund und die Dunkelheit: „Anywhere you sit you can see the sun / Unfortunately on this island I’m the only one“. Wie um den Trübsinn zu kontern, traten Cee-Lo und Burton dann in grotesken Kostümen auf, etwa als Piloten verkleidet, mit einem Streichorchester in Stewardessen-Uniformen.

Es lauert der Abgrund

Noch einen Tick melancholischer und wesentlich ambitionierter geht es auch auf dem singulären Album „Dark Night Of The Soul“ zu, das Brian Burton zusammen nun mit dem inzwischen verstorbenen Mark Linkous von Sparklehorse aufgenommen hat. Hier interpretieren Größen wie Wayne Coyne von den Flaming Lips, Iggy Pop, Jason Lytle von Grandaddy oder dem ebenfalls durch eigene Hand aus dem Leben geschiedenen Songwriter Vic Chesnutt ausnahmslos Songs, die ihnen Burton und Linkous maßgeschneidert hatten – sogar David Lynch, der nicht nur die Fotos fürs Cover fotografiert hat, sondern auch singt.

Umtriebig, wie er ist, hat’s Brian Burton inzwischen längst weitergetrieben. Zusammen mit James Mercer von The Shins, der auch auf „Dark Night Of The Soul“ dabei war, hat er die Gruppe Broken Bells gegründet – mit dem Ergebnis, dass die saccharinsüßen Indie-Melodien der Shins nun in von Burton geschneiderten Samtgewändern daherkommen. Samples freilich benutzt er schon lange nicht mehr, so wenig wie er sich noch im HipHop heimisch fühlt. Heute wird nur noch manipuliert, was zuvor eigenhändig eingespielt worden ist. So ist Brian Burton auf dem besten Weg zur Klassikerwerdung. Logisch, dass er dabei immer häufiger durch den Wahrnehmungsfilter vor allem des deutschen Pop-Feuilletons fällt. Dort liebt man schwarze Helden, die vermeintlich schwarze Themen ventilieren.

Mit Brian Burton verhält es sich dagegen ein wenig wie mit Michael Jackson. Während bei Jackson mit den Jahren die Haut immer weißer wurde, ist es bei Burton die Musik. Nein, Sorgen muss man sich keine machen.

Danger Mouse and Sparklehorse present „Dark Night of the Soul“ (Parlophone/EMI)