Gefährliches Spiel

KÄTHE-KOLLWITZ-PREIS 2010 Die Preisträgerin Mona Hatoum zeigt in der Akademie der Künste eine Auswahl ihrer Arbeiten

VON GESINE BORCHERDT

Mona Hatoum treibt ein gefährliches Spiel. Gefährlich, weil ihre Kunstwerke aus Stacheldraht bestehen, elektrisch geladen sind, Albträume hervorrufen – und trotzdem unglaublich schön wirken. Spiel, weil sie den Betrachter in eine kindliche Perspektive versetzen: Mannshohe Küchenreiben, die wie ein pechschwarzer Paravent zum Umkleiden im Raum stehen oder als messerscharfes Foltergerät in Bettform grausame Fantasien evozieren. Ein riesiger roter Teppich aus stoffumspannten, tentakelhaft ausufernden Kabeln, an deren Enden Glühbirnen im ruhigen Atemrhythmus auf- und abglimmen – doch die meditative Erscheinung täuscht: Der Teppich, universelles Sinnbild für Heimeligkeit, ist Undercurrent (2008), unter Starkstrom gesetzt. Es ist, als hätte die in Beirut aufgewachsene Palästinenserin, die heute in London und Berlin lebt, in der Akademie der Künste am Pariser Platz eine Puppenstube voller Monstermöbel zusammengestellt.

Für ihr Werk, das „inmitten einer routiniert, selbstgefällig und sentimental gewordenen Zivilisation die ursprüngliche Erfahrung der Fremdheit des Menschen in der Welt erneuert“, so die Begründung der Jury, hat Mona Hatoum nun den Käthe-Kollwitz-Preis 2010 erhalten. Tatsächlich ist ihre Bildsprache eine absurde Mischung aus Surrealismus und Minimal Art: Der Anblick der Gitterstrukturen ihrer filigranen Stickbilder und schlichten Halsketten aus Menschenhaar ist befremdend und betörend, vertraut und verstörend zugleich, ebenso wie die Begegnung mit dem stählernen Stacheldrahtkubus Cube (9 x 9 x 9) (2008) – Grundform der amerikanischen 60er-Jahre-Skulptur und ein Hinweis darauf, dass vermeintlich Bekanntes durchaus verletzend, mitunter tödlich sein kann.

Krieg im Libanon

Verletzen, Verfremden, Vertrauen, Exekution, Exil und Erinnerung spielen in Hatoums Leben eine besondere Rolle: Als sie 1975 zu einem kurzen Besuch in London war, brach im Libanon der Krieg aus; die damals 23-Jährige konnte nicht mehr zu ihrer Familie zurück. „Das war zwar einerseits eine schlimme Erfahrung, doch andererseits würde ich sonst nicht das tun, was ich heute tue“, sagt Mona Hatoum.

Aus ihrem Kurztrip nach Westeuropa wurde ein Aufenthalt von 35 Jahren – und ihre neue Heimat die vielen verschiedenen Orte auf der Welt, wo sie seit rund zwanzig Jahren ausstellt. Darunter waren schon das MoMA in New York, die Biennale Venedig, die Documenta in Kassel und eben auch Berlin, wohin sie 2005 wegen eines Stipendiums zog und blieb, oder besser: wo sie Atelier und Wohnung mietete. „Berlin hat ein langsames Tempo, ist nicht so hektisch wie London oder andere Metropolen. Das genieße ich“, sagt Hatoum, was eine ungefähre Idee von ihrem sonstigen Lebensrhythmus vermittelt.

Ihre Karriere beginnt sie in den 80er Jahren nach dem Kunststudium an der Londoner Byam Shaw School und der Slade School of Art mit Performances und Videos, in denen sie noch unmittelbar den Verlust der Heimat thematisiert: Auf Arabisch geschriebene Briefe zwischen der Künstlerin und ihrer Mutter legt sie in dem Film Measures of Distance (1988) wie einen zarten Schleier über den nackten mütterlichen Körper unter der Dusche – die Sehnsucht und Verletzlichkeit von Körper und Seele, aber auch der Unterschied zweier Generationen von Frauen könnte kaum intimer dargestellt sein.

Wenn Hatoum später Abtropfsiebe verschraubt, so dass sie umgedreht wie Landminen aussehen, Stadtpläne von Beirut, Kabul und Bagdad mit dekorativ ausgeschnittenen Kratern versieht (3-D Cities, 2008–2010) oder Gebetsperlen aus Kanonenkugeln wie eine Perlenkette am Boden drapiert (Worry Beads, 2009), schlägt die Künstlerin den Bogen über das eigene Schicksal hinaus und landet bei globalen Themen, in denen Gewalt und Häuslichkeit auf schmerz- und auch scherzhafte Weise eine makabre Verbindung eingehen.

Auch solche Symbolik ist ein gefährliches Spiel: Nur allzu leicht kann aus gesellschaftlich engagierter Kunst Kitsch werden. Doch Mona Hatoum versteht es meistens hervorragend, ihren sinnbildlich oder energetisch aufgeladenen Objekten eine Allgemeingültigkeit zu verleihen, mit der sie sich jeder konkreten politischen Vereinnahmung entzieht. Was bleibt, ist das unheimliche Gefühl, den Raum mit Gegenständen zu teilen, die ein Eigenleben führen: Wir sind nicht allein, scheint es einem in der Ausstellung entgegenzuflüstern. Es gibt immer noch das Andere, das Unbekannte, das Unberechenbare. Wir sind fremd in der Welt, stehen den Dingen am Ende hilflos gegenüber wie ein Kind oder ein Clown. Ganz klar: Auch wenn man heute am liebsten den gesamten Erdball einem „Security Check“ unterzöge – die Welt würde ihn nicht bestehen. Dieser Gedanke hätte Käthe Kollwitz sicher gefallen.

■ Bis 5. September, Akademie der Künste Berlin, Pariser Platz