Insulares Ausschalten

SOMMERFESTIVAL KAMPNAGEL Die Radiokunstgruppe Ligna präsentiert ihre Installation „Eiland“ auf der Hamburger Außenalster

VON MOIRA LENZ

Es ist eine kleine, künstliche Insel, mitten im Wasser. Schweigend bringt ein Ruderer die Besucher hinüber, wie der Fährmann die Verstorbenen über die Styx. Er lässt sie zurück, alleine, auf sechs Quadratmetern, mitten auf der Außenalster in Hamburg, das Ufer mehr als 60 Meter entfernt. Was für die nächsten 30 Minuten zu tun bleibt, ist, dem Hörspiel über die Kopfhörer im Ohr zu folgen.

Die Insel ist Teil von „Eiland“, einer Performance-Audio-Installation der Radiokunstgruppe Ligna für das heute beginnende Sommerfestival auf Kampnagel. „Wir hielten es für eine interessante Idee, dieser Situation auf dem Wasser völlig ausgeliefert zu sein und so jemanden aus den üblichen Kontexten für eine gewisse Zeit zu verbannen“, erzählt Torsten Michaelsen, der zusammen mit Michael Hueners und Ole Frahm Ligna bildet.

Seit den frühen 1990er Jahren arbeiten die drei Literaturwissenschaftler bei „Freies Sender Kombinat“ (FSK), einem selbstverwalteten Radiosender in Hamburg. Immer wieder experimentieren sie mit interaktiven Formen zur Nutzung von Radio - zwischen Medientheorie, künstlerischen Räumen und politischer Interventionen. So können beispielsweise bei ihrer Sendung „Lignas Music Box“ die Zuhörer ihre Wunschmusik live über das Telefon einspielen und sie so über den Äther zugleich teilen und mitteilen.

Ansage über Kopfhörer

Ob sie, wie im „Radiokonzert für 144 Handys“, Mobiltelefone nutzen, Kopfhörer oder Radiogeräte: Immer wieder stellen sie über das Hören eine besondere Gemeinschaft her, die unvermutet dort als Kollektiv wahrgenommen wird, wo sonst Anonymität herrscht.

Bekannt geworden sind Ligna 2002 mit ihrem „Radioballett“ im Hamburger Hauptbahnhof. Seit 1991 gilt dort eine Hausordnung, die bestimmte Menschen und bestimmte Handlungen ausschließt und so den öffentlichen Raum kontrolliert. Über Kopfhörer empfingen die Teilnehmer der Performance live eine Choreografie, die genau diese Verhaltensweisen als Gesten nutzte. Das Verbotene fand überall und zugleich statt: Platz nehmen außerhalb der dafür vorgesehenen Orte, die Hände aufhalten, wie um zu betteln, rauchen.

Eine Choreografie für den öffentlichen Raum war auch „Kult der Zerstreuung“: Im Dezember 2004 trafen sich Menschen mit Radios in der Hamburger Mönckebergstraße: Ohne sichtbare Absprache gingen sie gleichzeitig rückwärts statt vorwärts, verweilten unauffällig-auffällig mit dem Rücken zu den weihnachtlich geschmückten Schaufenstern, setzten sich simultan auf der Mitte der Straße nieder oder tanzten zeitgleich zu nicht hörbarer Musik. Wenn demnächst in Berlin, Buenos Aires und Zürich ihre Performance „Ciudades Paralelas – The Shopping Mall Experience“ startet, kann man Ähnliches erwarten.

Beunruhigende Elemente

Streuung lautet ein Schlüsselbegriff bei Ligna: Streuung der Stimme durch das Radio, Streuung der Teilnehmer im öffentlichen Raum. „Normalerweise sitzen Leute zuhause und hören Radio. Weil sie nicht miteinander in Beziehung treten, bleibt der Zusammenschluss der Hörer erst mal sehr abstrakt“, erklärt Hueners. Diese Verbindung in eine konkrete und sinnliche Form zu überführen, ist ein Merkmal von Lignas Arbeit.

Auch bei „Eiland“ ist es nicht eindeutig, wo die Bühne endet und der öffentliche Raum beginnt. Ihr Hörspiel beschäftigt sich mit dem Wasser, dem übergeordneten Thema des Sommerfestivals auf Kampnagel. „Wasser macht den größten Teil des Körpers und den größten Teil der Erde aus“, so Frahm. Trotzdem sei es als Masse kein positiv besetzter Teil der Gesellschaft und immer noch mit Angst, Unsicherheit und Unwissenheit belegt.

Während es beim Interview in Hamburg in Strömen regnet, zieht er Vergleiche zur Apokalypse des Johannes: „Nach der Apokalypse gibt es kein Meer mehr in der Welt, weil Wasser ein beunruhigendes Element ist, dessen wir nicht Herr werden können – ebenso wie der Stimme, die über den Äther geht.“

Die Hörspiel-Stimme ist auch das Einzige, was die Besucher der Insel während des Stücks auf der Alster mit der Außenwelt verbindet. „Möglicherweise wird diese halbe Stunde lang, gar langweilig, aber genau darin kann ein produktiver Moment liegen“, so Michaelsen. Zumal die Rückfahrt auf dem Ruderboot nicht mehr vom Hörspiel begleitet wird: Plötzlich sitzt der Besucher ohne Kopfhörer mit dem Ruderer in einem Boot – Kommunikation wird möglich.

Für ihre Arbeit halten es Ligna mit Bertolt Brecht: Sie wollen „den Mächten der Ausschaltung durch die Organisierung der Ausgeschalteten begegnen“. Bei „Eiland“ gestaltet sich die Organisierung allerdings sehr exklusiv: Wegen des immensen Aufwands können lediglich 120 Besucher teilnehmen. Jeder bleibt alleine auf der kleinen Insel: Einmal hin, verweile dort und wieder fort.

■ „Eiland“ 13.–28. 8. 2010

■ „Lignas Music Box“ jeden zweiten Sonntag im Monat von 20 bis 23 Uhr, nächster Termin: 15. 8. 2010

■ Weitere Termine mit Ligna: „Funk Now!“: 19. 8.–19. 9. 2010, Leipzig

■ „Ciudades Paralelas – The Shopping Mall Experience“, 17.–24. 8. 2010, Berlin, 26. 11.– 5. 12. 2010 Buenos Aires, Juni 2011 Zürich