Die Bierwerbung macht es genauso

NEUE HIPPIES Alexis Dos Santos’ Spielfilm „London Nights“ hängt im Londoner East End ab

Jeden Abend betrinkt sich Axl bis zum Blackout. Morgens wacht er auf fremden Sofas auf

Vera (Deborah François) und Axl (Fernando Tielve) sind auf der Suche. Vera sucht nach einer Liebe ohne Gefahren und ohne Verbindlichkeit. Sie findet einen Fremden, dessen Namen sie nicht wissen möchte und mit dem sie sich in anonymen Hotelzimmern trifft. Axl hingegen möchte seinen Vater finden, den er seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen hat. Sowohl Vera als auch Axl sind in einem besetzten Haus in East London gestrandet; Axl ist aus Spanien, Vera aus Belgien hierhergekommen, die unverbindliche Wohnsituation lässt sie weich in der Fremde landen.

Gleich zu Beginn des Films weist der Regisseur Alexis dos Santos seinen Figuren Bilder zu, die ihr Verlorensein illustrieren; man sieht Vera, wie sie Fotos aus ihrer vergangenen Beziehung von den Wänden abhängt oder wie sie durch ein Heckenlabyrinth läuft. Axl bekommt die ungemachten Betten, die „Unmade Beds“ aus dem englischen Originaltitel, zugewiesen. Jeden Abend betrinkt er sich bis zum Blackout und wacht morgens auf fremden Sofas auf.

Dos Santos möchte in „London Nights“ vom Bruchstückhaften des modernen Lebens erzählen, doch statt Axls und Veras Geschichten zu verfolgen, reproduziert er abgegriffene Metaphern des Großstadtlebens, die heute in jeder Bierwerbung durchdekliniert werden: Liebe zu dritt, verrückt Verkleidete, nächtliche Lichter, Diskogeräusche, morgendliche Treffen in der WG-Küche. Seine Figuren sind Nomaden, die sich selbst abhandengekommen sind. Um genau hinzusehen, geht Dos Santos ganz eng an sie heran, filmt fast nur in Nahaufnahmen, wenn es mal eine Totale gibt, wirken die Figuren gleich verloren.

Die Möglichkeiten für Axl und Vera sind: aussteigen oder mitmachen, sich binden oder freie Liebe, sich fallen lassen oder gefangen sein. Entscheidungen, die den Widersprüchen des wirklichen Lebens nicht gerecht werden. Die Antworten, die der Film für die beiden findet, sind ähnlich abgegriffen: Sie müssen nur der Wärme des Wohngemeinschaftsnestes vertrauen, dann wird alles gut. Sie finden, was sie suchen, solange sie nur an die Utopie des Lebens jenseits der Erwerbsarbeit glauben, an die Utopie eines kreativen Lebens in der britischen Hauptstadt, wo man sich von Job zu Job und von Party zu Party hangelt.

Insgesamt wirkt „London Nights“ seltsam aus der Zeit gefallen, nicht nur seine neohippieske Ästhetik zitiert Filme über die Swinging Sixties, auch die Fragestellung ist wenig zeitgemäß. Denn der Zwang zur Zweierbeziehung und die festgefahrenen Lebensweisen, zu denen Dos Santos eine Antithese entwerfen möchte, gibt es heute so gar nicht mehr. Axls und Veras Sinnsuche, ihr Vertrauen in flüchtigere Beziehung sind heute eher Paradigmen modernen Lebens statt Aussteigerprogramm.

Trotzdem fängt Dos Santos eine Stimmung, ein Lebensgefühl ein, nicht zuletzt mit der Musik von Indie-Bands wie den Tindersticks oder Plaster of Paris. Am Ende des Films finden sich Vera und Axl inmitten eines Videodrehs in ihrem Wohnzimmer wieder, und für einen kurzen Moment wird klar: Santos hätte kein Problem gehabt, die richtigen Bilder für diese Musik zu liefern; doch seine Aufnahmen fügen sich nicht so recht zu einem Film zusammen. NINA SCHOLZ

■ „London Nights“. Regie: Alexis Dos Santos. Mit Fernando Tielve, Deborah François u. a. Großbritannien 2008, 93 Minuten