Gelb, Blau und ein bisschen Rot

GODARD Er liefert keine Antworten, wenn man keine Fragen stellt. In ihrer Theaterfassung von Godards „Chinesin“ in der Volksbühne erliegen Dimiter Gotscheff und Mark Lammert gleich zwei Irrtümern auf einmal

Der Vater ist keine Respektsperson mehr, die Revolution ist gescheitert, Sex gibt es im Internet

VON JÖRG SUNDERMEIER

Jean-Luc Godard ist einfach zu lieben, aber schwer zu verstehen. Sein Kollege und ehemaliger Freund François Truffaut wusste das zwar, machte es sich dennoch leicht: Er liebte Godards Bilder und ließ das Verstehen beiseite. Andere hingegen machen es sich noch leichter, sie lieben Godards Aperçus, und lassen den Zusammenhang beiseite.

Godard kommt das entgegen, denn im Unvernünftigen versteckt er sich, ist Kommunist und Bourgeois zugleich. Er hält das für einen ausgehaltenen Widerspruch, doch es ist auch viel Feigheit darin: Wenn er als Kommunist gefragt wird, antwortet er als Bourgeois – und vice versa. In ihrer gemeinsamen Theaterfassung von Godards „Chinesin“ – die sie „eine Übermalung“ nennen – erliegen Dimiter Gotscheff und der Bühnenbildner Mark Lammert nun beiden Irrtümern auf einmal. Sie suchen Godards Bilder und lassen Schauspieler seine Aperçus und Dialogfetzen aufsagen. Vielleicht ergibt es dann Sinn. Vielleicht nicht. Egal.

Das ist, soweit es das Bühnenbild in der Volksbühne angeht, hübsch anzusehen. Lammert zitiert sich selbst – eine Ausstattung für eine Heiner-Müller-Inszenierung von Gotscheff – und bleibt doch ganz Godard treu: Die sechs Schauspielerinnen und Schauspieler tragen Gelb, Rot und Blau, die karge Bühnenausstattung wird durch gelbe, blaue und rote Stoffbahnen gebildet. Die Stoffbahnen wehen, die Drehbühne dreht sich, die an Mao-Anzüge gemahnenden einfachen Hemd-Hosen-Kombinationen der Schauspieler und die an eine Pionieruniform erinnernde Bekleidung der Marie-Lou Sellem verweisen auf das Thema.

Godard zeigt in seinem Film von 1967 ein Kollektiv von „Marxisten-Leninisten“, die ein paar Tage Maoisten spielen – und vor der Rigorosität der Revolution erschrecken. Gotscheff und Lammert bedienen sich bei diesem Film, aber auch einigen anderen Godard-Streifen. Darunter der Monolog der nackten Brigitte Bardot aus „Die Verachtung“, der dafür berüchtigt ist, der einzige Filmteil Godards zu sein, den alle verstehen. Aus ihm wird genüsslich zitiert. Bardot listet darin ihre Körperteile wie in einem Katalog auf. Wo Godard Respekt vor seinen unbeholfenen Revolutionären hat, ziehen Gotscheff und Lammert ihre Sache ins Lächerliche. Hier auf der Bühne ist das Bombenwerfen kindisch, Sex macht keinen Spaß, Klassenkampf ist nur mehr ein Wort. Beziehungen untereinander gibt es nicht. Schnitt und Gegenschnitt, die Godard obsessiv einsetzt, stehen den Theaterleuten nicht zur Verfügung, daher lassen es Gotscheff und Lammert eben lieber mal krachen.

Wolfram Koch schneit bei der Premiere als Stargast vorbei, von nun an wird es wechselnde Stargäste geben. Sebastian Blomberg darf den bürgerlichsten und also verbalradikalsten Revolutionär geben. Er trägt Anzug und Krawatte, während er sich verzweifelt brüllend die rote Fahne in den Schoß drückt. Anne Ratte-Polle muss grimassieren, Bernd Grawert wie ein schlechter Comedian immer wieder ein „ja“ an seine Sätze hängen, um Einverständnis zu erheischen.

Er muss auch einen Godard-Text, der sich im Programmheft zitiert findet und eine Auseinandersetzung mit Autorität darstellt, in einen plumpen Witz verwandeln. Der gedruckte Text lautet: „Eines Tages aßen wir zu Hause Kartoffelpüree. Plötzlich hörte mein Vater auf und sagte: ‚Ich habe es.‘ ‚Du hast was?‘, fragte meine Schwester. Er fand heraus, warum sich die Erde um die Sonne dreht. Natürlich hat Galileo es zuerst herausgefunden … Aber plötzlich, einfach so, fand mein Vater heraus, warum sich die Erde um die Sonne dreht. Genau wie Galileo es gemacht hatte … Also hörte er auf, das Kartoffelpüree zu essen und sagte: ‚Ich habe es.‘ Fabelhaft. Ich machte einen Witz und kriegte das Kartoffelpüree in die Fresse.“ Auf der Bühne muss Grawert den Text unnötig verkürzen: „Aber das hat doch Galileo herausgefunden. Dann kriegte ich das Kartoffelpüree in die Fresse.“ Und dann „Bamm. Bamm. Bamm!“ brüllen, als sei er ein von Tom Gerhard gespielter Idiot. Der Unterschied hier ist der Unterschied ums Ganze. Gotscheff und Lammert geben lauter Antworten, stellen aber keine Fragen. Der Vater ist keine Respektsperson mehr, die Revolution ist gescheitert, Sex gibt es im Internet. Also darf man sich über alles lustig machen. Man muss es aber nicht.

■ Weitere Termine: 25. 9., 30. 9., 10. 10., 16. 10., 20. 10.