DAUMENKINO
: „Im Oktober werden Wunder wahr“

Das gegenwärtige lateinamerikanische Kino hat einiges zu bieten: entschlackte Filme von Lisandro Alonso oder Paz Encina, die die Erzählung zum Nullpunkt treiben und von dort aus einen eigenwilligen Blick auf die Pampa, den Chaco oder Feuerland entwickeln; oder auch ein so beeindruckendes Essay wie „Nostalgia de la luz“ („Sehnsucht nach dem Licht“) des Chilenen Patricio Guzmán, das die Gestirne über der Atacama-Wüste beobachtet und dabei einen Bogen hin zu den politischen Häftlingen schlägt, die während der Diktatur in dieser Wüste ermordet und verscharrt wurden. En passant geht es bei Guzmán auch um die Bergleute, die sich über Jahrhunderte hinweg im chilenischen Hochland die Lungen ruinierten. Im trockenen Klima verwesen ihre Leichen nicht – an manchen Orten liegen sie, mumifiziert und kaum von Sand bedeckt, noch heute unter dem strahlend blauen Wüstenhimmel.

Vom Reichtum dieser Filmlandschaft erfährt man leider nicht viel in deutschen Kinos. Die Verleiher setzen eher auf das, was sich einigermaßen rechnet, und das sind nicht die Essayfilme, sondern die lakonischen Komödien, für die „Whisky“ von Pablo Stoll und Juan Pablo Rebella 2004 das Vorbild lieferte. „Im Oktober werden Wunder wahr“, das Langfilmdebüt der peruanischen Brüder Daniel und Diego Vega, geht in diesem Trend auf. Der Film verlässt sich auf karge, knappe Pointen, oft stecken sie in der Komposition des Bildes (etwa in der Anordnung von Stühlen rund um einen Tisch) oder ergeben sich daraus, dass in die Wiederholung immergleicher Abläufe eine Variation hineinbricht.

Im Mittelpunkt von „Im Oktober …“ steht ein Pfandleiher, Clemente (Bruno Odar), dem trotz seines Vornamens Güte und Milde fremd sind. Er lebt ein einzelgängerisches, geregeltes Leben in Lima: Frühstück machen, Geld verleihen, säumige Kunden ermahnen, onanieren, schlafen. Viel mehr passiert nicht, bis er eines Tages einen Säugling auf der Schwelle zu seiner Wohnung findet. Dass ein vergleichbar außergewöhnliches Ereignis das Getriebe der lakonischen Komödie wenigstens ein bisschen zum Stottern brächte, bleibt ein frommer Wunsch. CRISTINA NORD

■ „Im Oktober werden Wunder wahr“. Regie: Daniel und Diego Vega. Mit Bruno Odar, Gabriela Velásquez u. a. Peru 2010, 93 Min.