PÄRCHEN, DIE ALLE TISCHE BESETZEN, PREISWUCHER IN SUSHIBARS, MENSCHEN, DIE IN DER GROSSSTADT DIE RUHE EINER LANDPARTIE ERWARTEN
: Berlin war schon mal lustiger

VON RENÉ HAMANN

Irgendwann kam dann die Polizei. Früher war das ein Zeichen einer guten Party gewesen, wenn ganze Einheiten, angeführt von profilsüchtigen Einsatzleiterinnen, eine Wohnung stürmten, sich Diskussionen gegenüber stocktaub und tumb stellten, die Anlage konfiszierten und die gesamte Partybelegschaft zum sofortigen Abgang nach Hause animierte. Hier und da nahmen sie einzelne Partylöwen in Gewahrsam, wegen Trunkenheit und Beamtenbeleidigung. Den Umstand, dass Beleidigung ein – wenn auch relativ mildes – Strafdelikt ist, habe ich nie verstanden. Wie sollte man Idioten sonst darüber aufklären, dass sie hier, gerade und jetzt nichts anderes waren als Idioten?

Aber diesmal war es anders. Es war nicht die Anlage, die zu laut war – kein Wunder, sie hatte einen internen Lärmschutz, da sie von einem ofenwarmen Heimverstärker betrieben wurde, der sich bei zu hoher Leistung automatisch verabschiedete – sondern das Gelaber der Gäste. Da hätten sich welche aus dem zweiten Stock beschwert, hieß es. Menschen, die in die belebte Großstadt gezogen waren und die Ruhe einer Landpartie erwarteten. Aufgelöst wurde die Party jedenfalls nicht; der Betreiber bekam eine Verwarnung und blies anschließend demütig Trübsal. Die Gäste gingen so nach und nach nach Hause.

Was blieb von den Hoffnungen früher Jahre?

Der Heimweg gestaltete sich ein wenig wie in dem Song von Interpol, „NYC“: schwermütig, schwerfällig, voller Reflexionen über das Nachtleben bzw. über das, was von den vielen Versprechungen, Erwartungen und Hoffnungen früher Jahre jetzt an der Schwelle zur großen 4 davon übrig geblieben war. Es war schattig und kalt, über den Gehsteigen trieb der Müll, die Stadtreinigung wird sich schon darum kümmern. In der Minibar blinkte noch Licht, aber für ein letztes Bier dort war es zu voll. Die Pärchenwelt entfaltete sich auch zur Nachtzeit, Trauben von spanisch sprechenden Leuten sammelten sich vor den Spelunken. Röcke, die irgendetwas bedeuten könnten, waren so passager wie Tauben. Einstmals hatten wir alles besprechen wollen, uns austauschen wollen, intellektuell und körperlich, möglichst vielfältig, die Musik war gut gewesen und anders, jetzt schienen das obsolete Konzepte.

Ich dachte an das Interview mit Frau Rösinger, die sich in dieser Zeitung über ähnliche Phänomene beklagt hatte, und die war noch einmal gut zehn Jahre älter. Wahr ist: So ein Singleleben in der Hauptstadt ist tatsächlich unerquicklich. Aber wer nicht ins Licht tritt, das wusste schon Daniel Johnston, kann auch nicht gefunden werden.

Am Sonntagmittag zeigte sich, dass sich die Sonne nicht aus dem eigenen System gezogen hatte. Und es zeigte sich, dass man im Café Morena allein keinen Tisch mehr finden kann. Das Morena hat sich sichtlich von Betreiberwechseln erholt und ist wieder zu einer 1a Anlaufstelle herumlaufender Kreuzberger Wichtigpaare um die 30 und ohne Kinder geworden. Meinen Tisch musste ich schließlich mit zwei befreundeten Paaren teilen, die sich zum Paarfrühstück trafen und über den Preiswucher in Sushibars schwäbelten. Und über die Vorzüge vegetarischer Kochbücher. Immerhin hatte die eine Frau eine gewisse Attraktivität, die von ihrer Flohmarkt-Retrobrille nur noch unterstrichen wurde. Ihr Freund hatte eine furchtbare Stimme. Ich las zwei Zeitungen und ging dann wieder.

Spazieren gehen, hatte auch Jonathan Franzen in einer der Zeitungen gefunden, gehört ja auch irgendwie zum Job. Nicht zum Job gehört es, am Sonntag einkaufen gehen zu wollen. Eine dumme Idee, auf die mindestens eintausend andere Menschen auch gekommen waren. Der Supermarkt im Keller des Ostbahnhofs war jedenfalls brechend voll. Mit Paaren.