Der Charles Manson des Nordens

POP Der Massenmörder Fritz Haarmann gehört dieses Jahr wieder zum Hannover-Adventskalender. Außerdem ist ein Comic erschienen, der die unrühmlich Rolle der Polizei im Fall Haarmann beleuchtet

Fritz Haarmann ist ein Serienmörder, der 1923 und 1924 in Hannover mindestens 24 junge Männer umbrachte, zerstückelte und ihr Fleisch allem Anschein nach verkaufte. Letzteres konnte zwar nicht bewiesen werden, ist aber nach Meinung der Experten anzunehmen.

Mittlerweile ist Fritz Haarmann zu einer Figur der populären Kultur geworden, eine Entwicklung, die er beispielsweise mit dem Schwerverbrecher Charles Manson gemein hat. Wobei es nicht immer lautlos zugeht, wenn ein Serienmörder Pop wird. 2007 gab es in Hannover einen Adventskalender mit folkloristischen Stadtmotiven, auf dem unter anderem Haarmann mit Hackebeil abgebildet war. Die stadteigene Hannover Tourismus GmbH hatte den Kalender „freundlich unterstützt“, was die Bild-Zeitung dazu veranlasste, sich im großen Stil moralisch zu echauffieren.

Am heutigen Vormittag wird in Hannover nun der Hannover-Adventskalenders 2010 präsentiert und neben Lena Meyer-Landruth wird wieder Fritz Haarmann darauf vertreten sein. Aufregen wird sich aller Voraussicht nach niemand mehr, dazu war die Empörung der Bild und der von ihr hinzugezogenen Lokal-Promis schon 2007 peinlich genug. Zumal Fritz Haarmanns Status als Figur der populären Kultur nicht mehr zu übersehen ist. Neben Filmen, Liedern und Adventskalendern gibt es nun auch eine Haarmann-Graphic Novel, die am 4. November in der Polizeigeschichtlichen Sammlung in Hannover vorgestellt wird.

Graphic Novels sind Comics, die wie Bücher aussehen, im Buchladen verkauft werden und ihre Geschichten mit ausgefeilter Dramaturgie erzählen. Gemacht werden Graphic Novels für Erwachsene, jugendfrei sind sie in der Regel trotzdem.

Das gilt auch für die Graphic Novel „Haarmann“, die der Bremer Schriftsteller Peer Meter und die Hamburger Zeichnerin Isabel Kreitz veröffentlich haben. Kreitz detaillierte, atmosphärisch dichte Schwarz-Weiß-Zeichnungen zeigen keine explizite Gewalt. Die Bilder wirken wie eine Milieustudie, und im Zentrum der durch Akten belegten Erzählung stehen die Polizei und ihre haarsträubenden Fehler. Denn dass Haarmann so leichtes Spiel hatte, lag vor allem an einem Polizeiausweis, mit dem er sich bei Opfern und Nachbarn als „Kriminaler“ verkaufte. Den Ausweis hatte er von der hannoverschen Polizei bekommen, die Haarmann als Spitzel beschäftigte und deswegen alle Hinweise auf Haarmanns Täterschaft in den Wind schlug.

Wie eine umgekehrte Schöpfungsgeschichte erzählt Autor Meter in sieben Kapiteln die letzten sieben Tage Haarmanns vor seiner Verhaftung. Besonders beklemmend ist, wie in dieser Welt alle von Haarmanns Wahnsinn profitieren und auch deshalb beständig wegschauen. Das Fleisch nimmt die benachbarte Wirtin dankend ab. Über die Kinderkleidung freuen sich die Nachbarn. Und über die Spitzeldienste freut sich die Polizei – so sehr, dass man am liebsten von einer Mitschuld sprechen würde.

KLAUS IRLER

Peer Meter / Isabel Kreitz: „Haarmann“. Carlsen, Hamburg 2010, 175 S., 19,90 Euro