Lustmord walzte alles platt

BÄSSE Erst zur Church of Satan, dann ins Berghain Berlin: Das dritte Konzert des legendären Ambient-Projekts Lustmord brachte dort die Wände zum Wackeln

Irgendwann fing die Treppe an zu schnarren. Die Metallstufen, über die man vom Erdgeschoss in die Halle des Berghain gelangt, konnten die ständigen Tiefstfrequenzattacken aus der Anlage nicht unerwidert lassen. Wo man sich auch hin bewegte, war der riesige Raum von unterirdischen Bässen erfüllt, die unablässig dröhnten. Die Klänge stammten aus einem handelsüblichen Laptop, wie ihn so ziemlich jeder elektronische Musiker heutzutage einsetzt. Doch in diesem Fall hieß der Musiker Brian Williams, besser bekannt unter dem Namen Lustmord. Er spielte sein drittes Konzert in 29 Jahren.

Williams’ Musik wird unter der Rubrik Ambient geführt, doch mit den luftigen akustischen Mobiles Brian Enos hat der Klang von Lustmord wenig gemein. Vorherrschend sind dunkle Töne und Bässe, die von ganz weit unter der Erde zu stammen scheinen.

Wenn bei ihm etwas schwebt, dann sind es allenfalls schwarze, Unheil kündende Wolken. Wegen seiner Vorliebe für diffus Bedrohliches gilt Williams als Erfinder des „Dark Ambient“, ein Etikett, von dem er nach eigenen Angaben eher wenig hält. Was der gelernte Tontechniker vielmehr erreichen will, ist ein Klang, der die Zuhörer mit seiner materiellen Gegenwart körperlich vollkommen umschließt. Im Berghain gelang das eindeutig besser, als es heimische Hi-Fi-Anlagen je bewerkstelligen könnten.

Gesund ist das nicht

Die Funktion-One-Anlage des Hauses ist eigens dafür angeschafft worden, Technobässe so direkt wie möglich auf den Körper einstrahlen zu lassen. Bei Lustmord gab es zwar keine Beats zum Tanzen, dafür schien das finstere Grollen unerbittlich den Brustkorb einzudrücken. Gesund ist das nicht.

Man muss Williams zugestehen, dass er es versteht, Klang als physisches Phänomen zu manipulieren. Mit Lustmord übersetzt er Frequenzen allerdings auch in physische Gewalt gegen seine Hörer. Seiner Musik ist nicht zu entkommen, jedoch der einzig andere Zustand, der so erreicht wird, ist Unbehagen: Eigentlich eine eher beschränkte Kommunikationsform.

Visuell unterstützt er seine Exerzitien mit ästhetisierten Videos von gespiegelten Flammen, Rauch, Eis, satanischen Symbolen und anderem Verfallskitsch. Die Dunkelheit, von der er in seiner Musik nichts wissen will, wird so noch einmal ikonisch festgezurrt. Vielleicht sieht Williams das alles ja ironisch, aber angesichts der Tatsache, dass er seinen ersten Auftritt im Jahr 2006 (am 6. 6.) bei der 40-Jahres-Feier der Church of Satan hatte, bleiben da doch starke Zweifel.

Gegen Lustmord machte Daniel Lopatin aus Brooklyn alias Oneohtrix Point Never als Vorband einen fast zahmen Eindruck. Dessen gesampelte Synthesizer-Arpeggios, field recordings und andere nebulöse Klänge oszillieren zwischen der kosmischen Siebziger-Elektronik von Tangerine Dream und dunkler Experimentalcollage. Musikalisch wesentlich interessanter, wie man auch auf seinem vor kurzem erschienenen Album „Returnal“ nachhören kann, bleibt bei ihm genug Raum für Ambivalenz und Zwischentöne. Lustmord hingegen walzte alles platt. TIM CASPAR BOEHME

■ Oneohtrix Point Never: „Returnal“ (Editions Mego)