Benutzt, gestutzt, gestaltet und vermarktet

FOTO Die Schau „Not in Fashion – Mode und Fotografie der 90er Jahre“ im Frankfurter Museum für Moderne Kunst zeigt vergessene Bilder

VON MAIK SCHLÜTER

Die Fotografie ist ein Zwitterwesen von Anbeginn. Ein ästhetisches und zugleich technisches Verfahren, das ganz autonome, aber auch ganz konventionelle Bilder produzierte. Es dauerte 150 Jahre, um die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten der Fotografie zu erkunden und eine klare Trennlinie zwischen avantgardistischen Vorgehensweisen und den unbewussten Torheiten der Alltagsfotografie zu ziehen. Trotzdem kreuzten sich die scheinbar klar getrennten Bereiche immer wieder.

Im Frankfurter Museum für Moderne Kunst kann man jetzt zwei Ausstellungen sehen, die als Parallelmontage zeigen, wie sich Modefotografie und Fotografie im Kontext der bildenden Kunst in den 1990er Jahren beeinflusst haben. Die von der Kuratorin Sophie von Olfers hervorragend konzipierte Schau „Not in Fashion“ zeigt einen gut recherchierten Überblick und lenkt den Blick – und das ist das große Kunststück – nicht auf die Models, Outfits oder Locations, sondern auf die Ästhetik der Fotografie.

Es gibt einen Star, der den in den 1990er Jahren vollzogenen Übergang vom Magazin zur Galerie am besten verkörpert: Wolfgang Tillmans. Sein Weg vom Szene-, Mode- und Magazinfotografen zum international ausgestellten Künstler zeigt, wie notwendig es war, den statischen Konzepten der Becherschule etwas Neues entgegenzusetzen. Aber gerade Tillmans, der für eine lebendige, provokative und intelligente Arbeit steht, enttäuscht in Frankfurt am meisten. Die aufgeblasenen Riesenformate können kaum konkurrieren mit früheren Installationen des Künstlers. Dass die Bilder allesamt in Magazinen veröffentlicht wurden und gleichermaßen als Ikonen der Mode und der Kunst gelten können, macht die Sache nicht besser.

Als ein Ding begreifen

Viel lebendiger ist da der Raum von Mark Borthwick, der im Interview sagt: „Wesentlich war die völlige Freiheit, die wir damals hatten.“ Im Mittelpunkt seiner Installation stehen Poesie und Härte des untrennbar vermischten Lebens, das Setfotografie und private Partys, Reiseeindrücke und Locationsuche, Freundschaften und Job, Sinnsuche und Arbeit als ein Ding begreift. Diese Verquickung von Zeit-, Bild- und Textebenen findet man auch in den Magazinen wie i-D Magazine, The Face oder Purple, die in ihrem Layout ähnliche gestalterische Mittel anwendeten wie Borthwick in seinen Notizbüchern: Bildgrößen, Farbabbildungen und s/w-Kopien, Textfragmente und Kommentare mischen sich. In der Ausstellung geht es oft darum, bekannte Präsentationsformate der Galeriefotografie als schön gerahmte Flachware zu unterlaufen.

Wenn das Büro M/M aus Paris ein obskures Display der Präsentation anbietet, wirkt das den Kunstkonventionen gegenüber gleichgültig. Die Designer machen sichtbar, wie Bilder, Produzenten, Models und Designs benutzt, gestutzt, gestaltet und vermarktet werden. Und wie letztlich ein gemeinsames Produkt von Fotografen, Designern und Modemachern entsteht. Was hier noch sehr artifiziell wirkt, kriegt bei Jürgen Teller eine schmutzige und existenzielle Note. Seine Backstage-Bilder von den Modeschauen eines Helmut Lang sind krass und stilisiert: Alles verkommt zur Geste der Entfremdung. Und dennoch wird niemand kompromittiert. Im Gegenteil, denn auch hier funktioniert das Model zweigleisig als Kunst und als Werbung für die Modekampagnen. Teller selbst ist daher auch als Fotograf in der Mode- und in der Kunstszene gleichermaßen anzutreffen.

Konfrontiert man dieses Ausstellung mit „The Lucid Evidence“, die Fotografien aus den letzten 30 Jahren der Museumssammlung zeigt, wird deutlich, dass einige Protagonisten der Modeszene, egal ob Fotografen oder Designer, sehr schnell Bildverfahren adaptieren und kopieren können, ohne sich mit den entsprechenden Inhalten zu beschweren. Wie fruchtbar diese Auseinandersetzung sein kann, zeigen die Arbeiten von Corinne Day und Collier Schorr. Day fotografierte über Jahre ihr eigenes Leben in der Serie „Diary“. Situativ, schnell, schonungslos: Das Leben besteht aus Sex, Musik, Nikotin und Katerfrühstück. Aber die jugendliche Freiheit und Inszenierung ist stets unterlegt von Melancholie und Tragik. Der Verweis auf Nan Goldin ist daher angemessen. Die Bilder sind gut, anmutig und präzise und nie billig. Day erzählt ihre eigene Geschichte, ohne zu kopieren.

Gleiches gilt für die eigenwilligen Inszenierungen von Collier Schorr, die Geschlecht und Identität mit dem Kampf um das dazugehörige Bild vermischt und in kleinen Formaten alles an Pressuren und Blessuren zum Thema weibliche und männliche Rollenbilder in Gesellschaft und Fotografie zusammenbringen kann. „Not in Fashion“ leistet einen außergewöhnlichen Beitrag zum Verständnis der Ästhetik und des Lebensgefühls der 1990er Jahre, zeigt unbekannte und vergessene Bilder und Strategien – und erklärt ganz nebenbei, wie widersprüchlich das Medium Fotografie ist.

■ Bis 9. Januar. Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main. Ein Katalog ist im Kerber Verlag erschienen und kostet 39,95 Euro