Verrückt in aller Öffentlichkeit

LANGZEITBEOBACHTUNG 1995 erkrankt die Berliner Filmemacherin Gamma Bak an einer Psychose. Über Jahre hinweg filmt sie, wie sie mit der Krankheit lebt. Das Resultat, „Schnupfen im Kopf“, ist ein Stück Selbstvergewisserung und Aufklärung im besten Sinne

Psychische Erkrankungen im Film darzustellen ist schwierig, weil sich das eigentliche Drama im Kopf des Kranken abspielt. Dass eine Filmemacherin, die selber psychisch krank ist, einen Film über ihre Krankheit dreht, ist selten.

„Schnupfen im Kopf“ ist die Langzeitbeobachtung einer Psychose. 1995, in ihrem dreißigsten Jahr, hat die in Berlin lebende Filmemacherin Gamma Bak einen Nervenzusammenbruch. Eine „paranoide halluzinatorische Psychose“ wird diagnostiziert. Die Krankheit, die in Schüben verläuft, ist chronisch. Sieben Jahre später beginnt sie, einen Film darüber zu drehen. Sie bittet Freunde und in der Welt verstreute Verwandte um Videobriefe und filmt sich auch selber. Ein riskantes Unternehmen, wie der Vater sagt, schließlich erklärt sich seine Tochter in ihrem Film öffentlich für verrückt.

Rauchen und reden

Ein großer Teil des Films besteht aus rauchenden Talking Heads. Was sie sagen, ist klug. Man sieht, wie sie beim Sprechen denken. Sie reflektieren ihre Rolle im Drama der Filmemacherin. Der Druck, immer funktionieren zu müssen, sei sehr hoch gewesen. Vielleicht sei sie in die Krankheit geflohen, um keine Verantwortung mehr zu haben. Ein anderer spricht von der komplizierten Familiengeschichte, die sich in der Krankheit ausdrücke. Gamma Baks Eltern sind aus Ungarn geflohene Juden, sie selbst wuchs in Marburg auf und lernte kein Ungarisch, weil die Eltern nicht wollten, dass sie sich als Ausländerin fühlte.

Eher sachlich spricht die Filmemacherin von ihren Krisen, die sie manchmal auch in die geschlossene Psychiatrie bringen; sie berichtet vom Leben mit Psychopharmaka, die sie von ihren Gefühlen abschneiden, die sie vor die schwierige Aufgabe stellen, ohne Gefühle zu fühlen, die ihren Körper aufschwemmen. Plötzlich ist man in einem komischen Körper gefangen, den man selber nicht mag. Sie erzählt von Versuchen, die Medikamente abzusetzen, von der Angst, diese Versuche könnten selbst Teil der Psychose sein, und vom Misstrauen gegenüber den eigenen Gefühlen.

Das graue Gesicht

Ab und zu gibt es stillebenhafte Kamerafahrten über Porzellantassen zum Beispiel, über das graue, von einer aktuellen Psychose gezeichnete Gesicht der Filmemacherin, Ausschnitte älterer Videotagebücher: „Man kann doch nicht aus seinem ganzen Leben eine Materialsammlung machen“, sagt sie in einem Film von 1992.

Es sei ein verständlicher Irrtum, zu meinen, man könne helfen, sagt ein Freund. Als Nahestehender merke man zunächst gar nicht, wie weit man den Kranken in seinem Wahnsinn schon begleitet hat, wie sehr man vielleicht auch Teil dieser Krankheit ist.

Gamma Bak versucht mit ihrem Film ihr zerbrochenes Selbstbild wieder herzustellen. Das funktioniert nur über den Blick des Anderen. Mit aller notwendigen Intimität erzählt „Schnupfen im Kopf“ nicht nur von ihrer Krankheit. Ihr Film hat eine innere Notwendigkeit und ist Aufklärung im besten Sinne.

DETLEF KUHLBRODT

■ „Schnupfen im Kopf“. Regie: Gamma Bak. Dokumentarfilm, Deutschland 2010, 92 Min.