Außer sich vor Freude

LIDOKINO 3 Julian Schnabel, Robert Rodriguez: politisches Kino in Venedig

Roberto Rodriguez liefert derbe Unterhaltung mit politischem Anspruch

VON CRISTINA NORD

Obwohl ihn mit dem Regisseur Robert Rodriguez eine lange Freundschaft verbindet, kam Quentin Tarantino nicht zur Premiere von „Machete“, dem Eröffnungsfilm der Mitternachtsschiene hier bei den Filmfestspielen von Venedig. Vielleicht war es ihm zu spät; als Präsident der Wettbewerbsjury hat er schließlich viel zu.

Als der Hauptdarsteller Danny Trejo, ein Mann mit narbigem Gesicht und bewegter Vergangenheit, nachts gegen halb eins die Sala Grande betrat, war das Publikum außer sich vor Freude. Trejo trug ein schwarzes Sakko, in dessen Innenfutter Scheren, Feilen und Messer eingenäht waren, ganz so, als hätte er es nach Drehschluss nicht geschafft, den Weg aus der Rolle zurück zu sich selbst zu finden. Rodriguez hatte einen Cowboyhut auf dem Kopf, sein Ko-Regisseur Ethan Maniquis war nicht erschienen, Jessica Alba trug ein schulterfreies, schwarzes Kleid, dessen kurzer Rock sich fröhlich bauschte. Ob sie ihre Beine nach Filmbeginn in eine Wolldecke hüllte, um der Klimaanlage zu trotzen?

„Machete“ hält sich an eine alte Hollywood-Regel: Man beginne mit einer Explosion und steigere sich dann. In diesem Fall ist die Explosion ein Gemetzel in einer Hütte irgendwo im Grenzgebiet von Mexiko und Texas, bei dem die Machete die Schusswaffen im Wortsinn aussticht – bis zu einer unerwarteten, für den Helden Machete (Trejo) bedrohlichen Wendung. Machete ist Polizist in Ciudad Juarez, doch nach dem Gemetzel muss er nach Texas fliehen, weil er sich mit dem Boss eines Drogenkartells angelegt hat. Jenseits der Grenze verdingt er sich zunächst als Tagelöhner und nimmt dann den Auftrag an, den rechten, gegen die mexikanischen Einwanderer hetzenden Senator McLaughlin (Robert De Niro) zu erschießen. Zu spät entdeckt er, dass er damit in eine Falle gegangen ist; das Attentat ist eine Inszenierung zu dem Zweck, McLaughlin die Gunst der Wähler zu sichern.

Immer wieder kommt es zu Schlägereien, Schießereien und Messerstechereien. Rodriguez hat keine Furcht vor schlechtem Geschmack, deshalb kann man sichergehen, dass, sobald ein Korkenzieher im Close-up erscheint, dieser Korkenzieher bald in einem Auge stecken wird. Und wenn zwei Figuren über die Länge des menschlichen Darms sprechen, dann folgt recht bald eine Szene, in der sich Machete am Darm eines Widersachers aus einem Fenster abseilt.

Rodriguez hat ein tolles Gespür dafür, die Topoi der Chicano-Kultur – Messer, Chilischoten, Revolutionsromantik, Musik, Flirtrituale, Lowrider – in den Kosmos des Exploitation-Kinos einzuspeisen, und er versteht sich außerdem wunderbar darauf, die politische Schieflage, den Rassismus, die Ausgrenzung und die Ausbeutung der Einwanderer zu verhandeln, ohne dabei moralisch oder einfältig zu werden. „Machete“ ist große, derbe Unterhaltung mit radikalem, politischen Anspruch und nicht zuletzt deshalb ein so großes Vergnügen, weil die Frauenfiguren Luz (Michelle Rodriguez) und Agent Sartana (Jessica Alba) eine wesentliche Rolle spielen.

Mehr Ernst und sehr viel mehr Willen zur Kunst legt der Maler und Filmregisseur Julian Schnabel an den Tag, wenn er sich in seinem Wettbewerbsbeitrag „Miral“ auf das brisante Terrain des Nahostkonflikts begibt. Sein Film spannt einen Bogen von der britischen Mandatszeit bis in die Gegenwart; er rückt vier Palästinenserinnen unterschiedlicher Generationen in den Mittelpunkt, die auf je eigene Art versuchen, sich mal mit, mal gegen die Zeitläufte zu behaupten.

Der Kameramann Eric Gautier tobt sich aus; er zieht alle Register der expressiven Bildgestaltung. Das ist stellenweise sehr stark, etwa wenn eine der Heldinnen ins Wasser geht: Wie dieses Ertrinken gefilmt ist, ist wirklich überraschend und berührend. Auf Dauer aber ermüdet die experimentierfreudige Kamera.

Hinzu kommt, dass „Miral“ ein bisschen zu genau weiß, wer Täter und wer Opfer ist. Indem er sich auf die Frauenfiguren konzentriert, erzählt Schnabel zwar en passant auch von internen Verwerfungen auf Seiten der Palästinenser, vor allem aber lässt sich sein Film als Anklage gegen die israelische Politik lesen. Mit viel Aufwand macht er glauben, dass auf israelischer Seite niemand an einer friedlichen Lösung Interesse hat.