ZWISCHEN DEN RILLEN
: Jungspund trifft Pionier: Jamie „XX“ Smith remixt Gil Scott-Heron

Gil Scott-Heron und Jamie XX: „We’re new here“ (YoungTurks/XL)

Ein kranker alter Mann behauptet seine Würde: „Ich bin kein anderer geworden durch diesen neumodischen Remix-Quatsch“

Im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit hat es ein Ende mit der Endlichkeit des Kunstwerks. Pop ist endlos remixbar, der digitalen Revolution sei Dank. „The Revolution will not be televised“, das war vorgestern. Mit dieser Parole schrieb sich Gil Scott-Heron in den Siebzigern als Pate des modernen Rap in die Geschichte ein.

Auf seine alten Tage muss er sich jetzt mit der Kulturtechnik Remix anfreunden. Und mit einem Typen, der sein Enkel sein könnte. Jamie XX, Kopf der ausnahmsweise aufregenden britischen Gegenwartsband The XX, remixt Gil Scott-Heron, Meister des politischen Sprechgesangs zu Soul-Jazz-Begleitung. Ein sehr spezielles Setting, weit weg von der Remixt-du-mich-Remix-ich-dich-Tauschökonomie. Die Kombination unterläuft gängige Zuschreibungen, denn eigentlich trennt die beiden viel: Atlantik, Alter, Hautfarbe, digital gap.

Der Reihe nach: Gil Scott-Heron ist ein 61-jähriger Amerikaner, Jamie „XX“ Smith ein 21-jähriger Brite, Scott-Heron ist schwarz, Jamie XX trägt schwarz, als Kontrast zur blassen Haut. Gil Scott-Heron hat keine Mail-Adresse, Jamie XX schon. Es gibt logischere Konstellationen. Anstifter der unwahrscheinlichen Paarung ist Richard Russell.

Der Boss der Londoner Plattenfirma XL hatte Scott-Heron 2009 aus der Versenkung geholt, um nach 16 Jahren ein neues Album mit dem Rap-Pionier zu produzieren. Mit dem naiven Idealismus, zu dem Fans fähig sind, besuchte Russel ihn im Gefängnis und kämpfte in Gesprächen so lange gegen die Lebensmüdigkeit eines bankrotten und aidskranken (Ex-?)Crack-Junkies, bis sich der vom ungesunden Leben Gezeichnete schließlich breitschlagen ließ und neue Songs aufnahm. Die Produktion übernahm Russell selbst und ließ sich inspirieren vom Sound seiner labeleigenen Band The XX.

Die drei Teenager von The XX kommen 2009 mit einem Sound daher, der den Young Marble Giants so viel verdankt wie Burial und dem vergessenen Brooklyn/Crooklyn-Wordsound-Dub der 90er. Gegen jede Erwartung werden The XX preisgekrönte Popstars, Vorboten des hybriden Zehnerjahre-Bastard-Entwurfs, der mangels besserer mit den Schlagworten Entschleunigung und Post-Dubstep versehen wird.

Für Gil Scott-Heron in New York sind das böhmische Dörfer. XL-Chef Russell bringt das ungleiche Paar zusammen. Dabei ist egal, ob der alte Afroamerikaner und der junge Brite sich jemals von Angesicht zu Angesicht begegnet sind. Als Rohmaterial dient Scott-Herons Album „I’m new here“ von 2010. Gegen die Remix-Orthodoxie geht Jamie XX äußerst freizügig mit dem Material um. Statt jeden einzelnen Song neu abzumischen, zerschneidet und rekombiniert er das komplette Album und fügt Vokal-Takes aus Scott-Herons glorreicher Vergangenheit ein, darunter den Klassiker „Home is where the hatred is“. Er ignoriert markante Songs von „I’m new here“, etwa das Robert-Johnson-Cover „Me and the devil“.

So wird aus „I’m new here“ via Cut & Paste tatsächlich: „We’re new here.“ Es geht los mit einem doppelselbstreflexiven Coup: „I did not become someone different, that I did not want to be“, krächzt Scott-Heron ohne Musikbegleitung mit aller Zahnlosigkeit, zu der er fähig ist. Der größte Kontrast zur juvenilen Bling-Männlichkeit der Goldgebissrapper da draußen. Ein kranker alter Mann behauptet seine Würde: „Ich bin kein anderer geworden, durch diesen neumodischen Remix-Quatsch, keiner, der ich nicht sein wollte.“

Toller Anfang für ein Album, das Gil Scott-Heron zu einem anderen macht, ohne ihn zu verraten. Man hört förmlich die frühreife Liebe des Jamie XX zu dieser unvergleichlichen Stimme. Wie ein Instrument setzt er sie ein, manchmal kippt das ins Ornamentale. Das ist aber schon der einzige Einwand gegen diesen stripped-down triumph, so das Uncut-Magazin. KLAUS WALTER