DVDESK
: Erdschwer, fleischmühlenhaft

■ „13 Assassins“, Regie: Takashi Miike, Japan 2010. DVD, rund 13 Euro. Mit der 15 Minuten kürzeren Originalversion

Körper interessieren Takashi Miike als Fleisch, ohne das es kein Leben gibt

Naritsugu ist ein Inbegriff des Bösen, Bruder des regierenden Shoguns in der Mitte des 19. Jahrhunderts, also in der Spätzeit des feudalistischen Japans. Er hat Macht dank Verwandtschaft, ist von Recht und Gesetz nicht verwundbar aufgrund der Gesellschaftsstruktur. Das nutzt er weidlich. Er tötet, vergewaltigt, verstümmelt, wie es ihm passt. Wir sehen ihn, wie er sadistisch mit Pfeil und Bogen eine ganze Familie Schuss für Schuss massakriert. Er vergewaltigt eine Frau und schneidet ihr vom Körper die Glieder und aus dem Mund ihre Zunge: Zurück bleibt ein zuckendes Bündel, das sich aufbäumt zum stummen Schrei. Takashi Miike zeigt das. Körper interessieren ihn als Fleisch, ohne das es kein Leben gibt; alles Leben ist fleischlich gebunden, und wie der bloße Wille und Geist einen längst zermalmten, beinahe in Erde und Dreck und Blut übergegangenen Körperklumpen als Kämpfenden noch zusammenhält, das sieht man stets aufs Neue im großen Finalkampf von „13 Assassins“. Und wie es dahin kommt, das sieht man auch. Naritsugu, das Monster, hat sich Feinde gemacht. Sie sehen keine andere Lösung, als ihn zu töten. Eine Truppe von Samurais wird zusammengestellt. Im Kerzenlicht wird beraten, die Kamera rahmt das in vielen Tableaus und bewegt sich mit einiger Würde dazu, seitwärts oder in langsamen Zooms.

So gibt es das Gebändigte, beratende Körper, das Planen von Strategien zum einen, in fast schon ermüdender Ausführlichkeit. Im Mittelteil setzt sich der Assassinentrupp in Bewegung. Es geht durch sehr grüne Wälder, man badet, unterhält sich ein bisschen über Samuraiehre und trifft auf einen im Baum hängenden komischen Kauz. Der Kauz kommt mit und ist ein anderer Körper. Nicht zum Schwertkampf oder Bogenschuss trainiert mit den klaren, geradezu kalligrafischen Schwüngen und Flügen. Elastisch stattdessen, ein Nahkämpfer und Flitzer mit Steinschleuder, niemandes Herrn Diener, ein anderes, individuelleres, nicht mehr feudales Personenprinzip. Am Ende geht er, nicht totzukriegen, davon, in unsere Richtung.

In einem Dorf treffen die Truppen des Bösen und das Fähnlein der Aufrechten zum Endkampf zusammen. Die Zeit der einen wie der anderen, das wissen sie alle, ist im historischen Ganzen so gut wie vorbei. Sachlich beobachtend rückt Miike das Kämpfen eine Dreiviertelstunde lang ins Bild. Das ist nicht nach den Regeln des großen Schwertkampfkinos aus Hongkong inszeniert, in dem die Kamera und die Montage sich oft schwerelos fast der Bewegung und dem Kampf selbst anverwandeln. Miike dagegen filmt das aus der Distanz, durchaus erdschwer, fleischmühlenhaft. Auch mal von oben, da abstrahieren Kämpfer und Blut und Dorfplatz sich zum schön anzusehenden Muster.

Es gibt keine ausgeklügelte Choreografie. Kämpfen heißt: Die Tiere, die Menschen und die Menschen als Tiere machen einander der Erde und dem Erdboden gleich. Ein kurzes Interludium des Sterbens fällt aus dem Rahmen. Dies eine Mal identifiziert sich der Film mit dem Blick einer Figur und kippt die eigene Perspektive in die Vertikale. Da spricht Miike als der Humanist, der er ist. Ansonsten transponiert er in „13 Assassins“ sein Kino der Überschreitung zur Abwechslung in einen geradezu klassischen Modus.

Man muss ja immer mit allem rechnen bei ihm. Er ist das Gegenteil eines Auteur, dessen Persönlichkeit allen Aspekten seiner Filme aufgeprägt wäre. Miikes umfangreiches Oeuvre – er dreht ein paar Filme pro Jahr – zielte noch nie auf ein geschlossenes Korpus. Unter den Kämpfern wäre er selbst keiner der Samurai, sondern der flitzende, steinschleudernde Kauz, den nicht die Regeln der Kunst interessieren, sondern der die reine Lust ist am Ausprobieren des Neuen. EKKEHARD KNÖRER