Theaterstücke von Alain Badiou: Der Triumph des Kommunismus

Der Philosoph Alain Badiou war mit seinen Theaterstücken in Berlin. Wie im Denken ging es um das Schaffen des Unmöglichen.

Deine Kraft vollendet sich in deiner Schwäche. Dieser Ausruf des heiligen Paulus aus dem zweiten Korintherbrief hätte auch als Titel über der letzten Veranstaltung vor der Sommerpause am Samstag im Theater Hebbel am Ufer, kurz: Hau Eins, stehen können. Denn wenn es etwas gibt, was das Denkprojekt von Alain Badiou mit den Briefen des Paulus verbindet, dann ist es die unermüdliche Beschwörung der schöpferischen Kraft der Schwachen gegen den Möglichkeitssinn der etablierten Mächte. In einem konkreten Sinn machte nämlich auch der Samstag im Hau aus einer Schwäche eine Kraft.

"Alain Badiou - Theater des Politischen", wie die Veranstaltung hieß, war ein doppelter Import von hierzulande Unbekanntem. Es ging am Beispiel von zwei Theaterstücken Badious, die weder ins Deutsche übersetzt noch hier jemals gespielt worden sind, um das Politische im Theater. Während aber die philosophischen Hauptwerke Badious dank der Arbeit von kleinen Verlagen fast vollständig übersetzt sind, sind seine schriftstellerischen Arbeiten komplett unbekannt. Das ist in den angelsächsischen Ländern anders. In Großbritannien und den USA finden die Theaterarbeiten Badious in Theorie und Praxis eine wohl bedachte Aufnahme. So ist es denn kein Wunder, dass die beiden Stücke, um die es im Hau ging, "Ereignis in Antiochien" und "Achmed der Philosoph", demnächst in einer englisch-französischen Ausgabe bei Columbia University Press erscheinen. Dementsprechend sind es dann natürlich auch hauptsächlich angelsächsische Theoretiker, die sich mit Badious Theater auseinandersetzen.

Das führte im Hau zu der denkwürdigen Konstellation, das Martin Treml, einer der Mitveranstalter vom hiesigen Zentrum für Literaturforschung, sich auf die Vorstellung der Vorträger auf der Bühne beschränkte und sich dann zurückzog. Es saßen also fünf Angelsachsen, die nur in Fachkreisen bekannt sind, und Badiou selbst auf der Bühne und verhandelten zwei Theaterstücke, die hier niemand kennt. Und dass das nicht nur funktionierte, sondern auch Freude verbreitete, hängt auch mit Badious unerschütterlichem Glauben zusammen, dass der Komödie immer genügend Mittel zur Verfügung stehen, um dem bitter-stagnierenden Ernst der armseligen Seriösen der Gegenwart ein politisches Satyrspiel entgegenzusetzen, in dem das Unmögliche auf der Bühne Körper und Sprache wird.

Der Superlativ von Nichts

Achmed, der Philosoph, von Badiou 1995 erschaffen, ist so eine Figur. Ein junger Algerier, aus einer französischen Banlieue, der auf die Bühne tritt und verkündet: Was Sie hier sehen, ist absolut nichts. Der Superlativ von Nichts sozusagen. In einem traumhaft sicheren Gang verdreht er dann in "22 kleinen Spielen für Kinder und andere", wie es im Untertitel heißt, die großen Sprüche der Philosophie von Descartes bis Lacan in eine eigene Allgemeinheit. "Wo ich denke, bin ich nicht. Und wo ich bin, denke ich nicht", erzählt Achmed seine Version des zur Ikone erstarten Denkspruchs.

Amerika, du hast es besser

Theater kann, nach Badious Version seiner Fähigkeiten, die Welt nie repräsentieren, wie sie ist. Im Filmbild gibt es immer zu viele Details, im Theater immer zu wenig. Das schafft Raum für neue Abstraktionen, für dann im Detail sensiblere Abstraktionen, als sie das Kino ermöglicht. Theater schafft damit den konkreten Raum für das Unmögliche. Wie das verstanden werden kann, hat dann der amerikanische Literaturwissenschaftler Lee Edelman in einem hochkomplizierten Parforceritt durch Descartes, Lacan und Badiou gezeigt, in dem er Achmed mit der Gendertheorie von Jasbir Puar verband, um in einer eigenen Queertheatertheorie zu landen, die keine Sekunde langweilig war. Im Theater, dachte man mit Brecht, lernt man Theorie leichter, und mit einem anderen: Amerika, du hast es besser, weil bei dir nicht der Dumpf-Antitotalitarismus jedes Denken im Möglichkeitssinn der irdischen Mächte erstickt.

Auf andere Weise erzählte davon auch das zweite Stück Badious, das "Ereignis in Antiochien". Nur einmal, 1989, von dem großen französischen Theatermann Antoine Vitez in einem Vorort von Lyon aufgeführt, ist es legendär. Vitez, ganz in Schwarz gekleidet, war auf die leere Bühne getreten und hatte das Stück mit dem Satz eingeleitet: "Was Sie jetzt hören, kommt von ganz unten, aus dem Grab des Kommunismus", und dann wurde das Stück auf der Bühne "nur" gelesen. Das Publikum wurde dabei immer leiser und war am Ende ganz still. Es war ein Triumph.

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