Alles Krisengewinnler
: Der Untergang

Sie spekulieren auf zwei, drei Gläser Ouzo, Limoncello oder Port

„Die Welt geht gerade unter und du fragst mich, ob ich deine Fußnoten korrigiere!“, wies ich die Bitte einer Freundin zurück, die seit Monaten mit ihrer Diss abgetaucht war. Prompt blinkte ihre Antwort in meinem E-Mail-Postfach: „Wattn jetzt los? Meinst du die sintflutartigen Regenfälle?“ Nein, die meinte ich nicht. Aber ich hatte auch keine Kraft mehr, mich oder alles andere da draußen – die Turbulenzen auf den Aktienmärkten, das Schuldenkarussell in der Europäischen Union und die mordenden und brandschatzenden Horden in den Finanzkapitalen dieser Welt – zu erklären. Ich klickte ihre Mail einfach weg. Es hat ja doch alles keinen Sinn. Selbst auf Arbeit wollten meine sonst so gefühlsduseligen Kollegen das Menetekel nicht ernst nehmen.

Harald, der Volontär, der mal ein Jahr als Schüler im Mittleren Westen verbracht hatte und seitdem wie Gilbert Grape in „Irgendwo in Idaho“ strahlte, wischte alle meine Zweifel, dass Obama die Lage der Nation doch noch in den Griff kriegen könnte, mit einem breiten Grinsen weg. Weißt du, wandte er ein, als Clinton am Ruder war, da waren die Staaten (er sagte die Staaten, das habe ich ja, seit Westberlin implodierte, nicht mehr gehört) zahlungsunfähig, und keinen hat’s geschert.

Ich fühlte mich unverstanden, allein gelassen mit meinen Weltuntergangsängsten. Wo war Roland Emmerich, um die Apokalypse zu verfilmen? Laut dem uralten Maya-Kalender befanden wir uns auf der Zielgeraden in den Abgrund. 2012 droht der Big Bang!

Ich telefonierte mir die Finger wund. Überall nur Anrufbeantworter. Meine Freunde waren im Urlaub. In Griechenland, Portugal, Sardinien oder Irland. Alles Krisengewinnler! Sie spekulieren auf fallende Preise, zwei, drei spendierte Gläser Ouzo, Limoncello oder Port nach Begleichen der Rechnung und darauf, dass der Rettungsschirm auch den Dauerrregen abhält. TIMO BERGER