ATOMARER AMBIENT
: Strahlende Symbolik

Sich als Musiker an ein tragisches Ereignis heranzuwagen, ist immer heikel. So nachvollziehbar es ist, wenn Künstler versuchen, die Erinnerung an Katastrophen mit ihren Mitteln am Leben zu halten, so durchwachsen sind mitunter die Ergebnisse.

Oft genug scheitern Arbeiten einfach daran, dass die eigene Betroffenheit sich in schwer verdaulichem Kitsch Bahn bricht.

Geir Jenssen aus Tromsø im Norden Norwegens, der unter dem Namen Biosphere diskrete Ambient-Musik macht, braucht diesen Vorwurf nicht zu fürchten. Sein neuestes Album ist zwar von japanischen Atomkraftwerken inspiriert, was der Titel auch andeutet: „N-Plants“, also nuclear plants, doch damit sind Kernkraftwerke im Allgemeinen benannt, selbst wenn die einzelnen Titel konkreter werden und „Seindai-1“ oder „Monju-2“ heißen.

„Fukushima“ ist nicht darunter. Jenssen begann mit den Arbeiten für das Album angeblich schon Anfang Februar und stellte sie Mitte des Monats fertig. Da war an der japanischen Ostküste noch alles ruhig. Bei seinen Recherchen fand er ein Foto des Kraftwerks von Mihama, eine futuristische Anlage in malerischer Landschaft – und auffällig nahe am Meer.

Er habe sich gefragt, ob so eine Anlage wirklich sicher ist vor Erdbeben und Tsunamis. Die Antwort weiß man inzwischen. „N-Plants“ ist, wenn Jenssens Chronologie stimmt, eine retroaktive Form der Trauerarbeit für Fukushima. Da hat jemand buchstäblich „vorgearbeitet“.

Resignierter Bass

Ein halbes Jahr nach dem Unglück haben die Medien andere Brennpunkte im Blick. Dafür kann man jetzt zu melancholischen Klängen der Opfer oder der mangelnden Reaktorsicherheit der Nuklearanlagen rund um die Welt, in Frankreich etwa, gedenken. Dass die Musik gar nicht zu diesem Zweck gemacht wurde, darf man als großen Vorzug sehen. Man braucht sie gar nicht erst an irgendeinem Anspruch zu messen, zugleich bieten sich die stoisch mäandernden Flächen, über die vereinzelt japanische Stimmfragmente gelegt wurden, bestens als akustische Projektionsfläche an. Ist das Schmerz, der aus diesem stockenden Beat spricht? Hat dieser Bass schon resigniert? Im Grunde klingt Biosphere aber gar nicht bemerkenswert anders als sonst.

Was sehr dafür spricht, die Wirkung von Musik immer auch in ihrem symbolischen Zusammenhang zu sehen. Welchen Zweck sie erfüllt, welche Bedeutung sie hat, bestimmen stärker die Entstehungsumstände als die Absichten des Künstlers.

TIM CASPAR BOEHME

■ Biosphere: „N-Plants“ (Touch/Cargo)