Rudern durch die Weltgeschichte

ISLANDSAGA (3): Island hatte das erste demokratisch gewählte weibliche Staatsoberhaupt. Isländerinnen veröffentlichen oft Romane

Island liegt näher an Kanada als an Europa und müsste also geografisch zu Nordamerika gezählt werden

VON RENÉ HAMANN

Island liegt weit nordwestlich, in der oberen linken Ecke Europas. Schaut man auf den Globus, ist man erstaunt, dass hinter Island noch etwas kommt, Grönland nämlich. Und da wohnen auch noch Leute. Die nur auf den weiteren Verlauf des Klimawandels warten, um endlich politisch souverän zu sein. Schaut man noch genauer hin, fällt etwas anderes auf: Eigentlich liegen die beiden Inseln näher an Kanada als an Europa und müssten geografisch genau genommen zu Nordamerika gezählt werden. Aber Europa ist ja auch kein Kontinent, das geht in dem ganzen Eurozentrismus unter, Europa ist höchstens Halbkontinent. Schon die Isländersagas befassten sich mit Überfahrten nach Grönland. Frauen kommen in diesen Sagas übrigens selten vor.

Meist werden sie geheiratet, dann hocken sie zu Hause. Während die Männer durch die Weltgeschichte rudern. Zitat: „In der Zwischenzeit hatte Dorsteinn im Eiríksfjörd in Grönland Gudrid Dorbjanardóttir geheiratet, die zuvor mit Dórir dem Norweger verheiratet gewesen war […]. Nun wollte Dorsteinn Eiríksson nach Vínland fahren, um die Leiche seines Bruders zu holen. Er machte das Schiff seines Bruders klar und suchte sich eine Besatzung von großen und starken Männern.“ (Isländersagas 3)

Höchst aufgeklärt

Heute ist Island ein höchst aufgeklärtes Land. Es gab lange eine Präsidentin, über die inzwischen auch eine Biografie erschienen ist, die „Frau Präsident“ heißt, von Páll Valsson stammt und bei Orlando erschienen ist. Die Präsidentin hieß Vigdís Finnbogadóttir und war die erste Frau, die durch demokratische Wahlen in das Amt eines Staatsoberhauptes gewählt wurde.

Und natürlich gibt es dort haufenweise Autorinnen. Ihre Bücher heißen „Der Schöpfer“ (Gudrún E. Mínervudóttir, btb) oder „Der gute Liebhaber“ (Steinunn Sigurdardóttir, Rowohlt, die Autorin lebt inzwischen in Berlin). Oder „Weiß ich, wann es Liebe ist?“ (Audur Ava Ólafsdóttir, Suhrkamp). Letzteres kommt im weißen Cover mit einer abgebildeten Rose daher.

Die Autorin erzählt aus junger, männlicher Perspektive die Geschichte einer Selbstfindung. Das irritiert anfänglich, vor allem, weil es sich beim Protagonisten um einen effeminierten jungen Mann handelt, der sich für Botanik interessiert und die Kochkunst seiner Mutter. Aber er ist auch Vater geworden und fährt durch Europa, wo er andauernd junge Frauen aufgabelt, was wiederum unrealistisch scheint. Dass es dennoch gut klappt, liegt an der behutsamen Sprache, an den guten Einsichten und an dem ironischen Spiel, dem schönen, jungen Ernst. „Es ist ganz klar, dass hier eine Frau wohnt, die Wohnung ist voller unnötiger Kleinigkeiten, Kerzenleuchter, Spitzendeckchen, Weihrauch, Kissen, Bücher und Bilder, bei denen ich aufpassen muss, dass ich nicht dagegen stoße.“ Ein lesbares, interessantes Buch mit subtil erzähltem Drama.

Ein anderer Fall ist „Am liebsten gut“ (KiWi). Der Einband ist hellblau, auf dem Cover ist übereinander gestapeltes Porzellan abgebildet, rechts oben befindet sich ein Aufkleber: „Der Frauenroman Nr. 1 aus Island“. Tatsächlich geht es um Nína, die sehen muss, wie ihr greiser Vater nach dem Tod seiner Frau eine neue Jüngere anschleppt. Eine Frau um die vierzig also, bereit für die Midlifecrisis, die sich dann auch buchstabengetreu anbahnt. Da stehen dann Sätze wie (wahllos herauszitiert): „Hast du keine Angst, Armgard die Verantwortung für die Kinder zu überlassen? Die Kleinen verstehen sie doch so schlecht, und sie kann ihnen noch nicht mal ein Ei kochen.“

Das Buch wäre überflüssig, wenn es nicht eine interessante Komponente daran gäbe: Geschrieben hat es Jónína Leósdóttir, und diese Autorin ist, wie der Deckel aufklärt, in zweiter Ehe mit der amtierenden isländischen Ministerpräsidentin Jóhanna Sigurdardóttir verheiratet. Oha! Aha! Vermutlich gibt es hier echte Einblicke in politisch brisante Schlafzimmer. Zweite Stelle: „Die Vögel zwitscherten so laut, dass ich nicht hören konnte, ob er stöhnte.“ Na ja, vielleicht auch nicht. Fortsetzung folgt.

■ Island ist das diesjährige Gastland der am 11. Oktober beginnenden Frankfurter Buchmesse. Über seine Leseerfahrungen mit den vielzähligen, aus diesem Anlass ins Deutsche übersetzten isländischen Büchern berichtet unser Autor bis dahin in loser Folge