Wie im Märchen

FILMFEST Die Dokumentation „20 Geigen auf St. Pauli“ erzählt von dem Südamerikaner Gino Romero Ramirez: Der gibt auf St. Pauli Grundschülern Geigen-Unterricht

Es gibt nicht viele ernstzunehmende Feelgood-Movies über St. Pauli. Dieses ist einer

VON KLAUS IRLER

Es hat was Komisches, einer Gruppe Grundschüler dabei zuzusehen, wie sie gemeinsam Geige lernen. Der Klang ist grausam, aber in den Gesichtern der Kinder liegt ein heiliger Ernst. Es ist ihnen nicht ganz geheuer, was sie da machen, und wahrscheinlich würden sie das Instrument sehr bald in die Ecke legen, wenn sie keinen Lehrer hätten. Sie haben aber einen, und zwar einen recht außergewöhnlichen: Der Mann heißt Gino Romero Ramirez, dürfte Mitte 30 sein und kommt aus Südamerika. Er und nicht die Kinder stehen im Mittelpunkt der Dokumentation „20 Geigen auf St. Pauli“, die am Freitag und Samstag im Rahmen des Hamburger Filmfests gezeigt wird.

Ginos Aufgabe besteht darin, Grundschülern aus St. Pauli und Altona im Gruppenunterricht ein Instrument beizubringen, das als schwierig gilt. Als schwierig gilt auch das soziale Milieu, aus dem die Kinder kommen: Sie haben fast alle einen Migrationshintergrund. Das Projekt, gerade an diesen Schulen kostenlosen Geigenunterricht anzubieten, wurde durch Spenden finanziert. Gino ist dem begrenzten finanziellen Rahmen entsprechend kein fest angestellter Lehrer – er arbeitet auf Honorarbasis.

Vor allem aber arbeitet er mit großem Erfolg, weil alle ihn toll finden. Gino hat dunkle Haut, ein rundes Gesicht, eine schlaue Brille und die Statur eines Bären. Er ist ein Sympath, wie er im Buche steht: immer entspannt, freundlich, warmherzig, immer mit einem Lachen im Gesicht, von dem alle Menschen in seiner Umgebung etwas abbekommen. Die Kinder lieben ihn, die Eltern auch und die alte Dame von nebenan sowieso: Sie lebt im selben Haus wie Gino direkt neben der elenden Reeperbahn. Überhaupt, St. Pauli: Immer wieder unterstreicht der Film das Besondere des Stadtteils, zeigt Kreuzfahrtschiffe, die über die dunstige Elbe wie in Rufweite vorbeifahren, zeigt die künstlichen Palmen vor den luxussanierten Wohnungen und die Grundschüler, wie sie an Sexshops und Hundepunks vorbei nach Hause gehen.

Weil Gino so ein toller Lehrer ist, bekommt er ein Angebot für eine feste Stelle in Berlin. Eigentlich will er die Stelle annehmen, aber niemand in seinem Umfeld will ihn gehen lassen. Die Lehrer der Grundschule schaffen es schließlich, für Gino auch in Hamburg eine feste Stelle einzurichten. Also bleibt er. Alle liegen sich in den Armen. Das arme St. Pauli, hier ist es auf einmal ein Ort der klugen Entscheidungen und der Harmonie. Und das alles Dank einer guten Fee namens Gino.

Es ist eine märchenhaft positive Geschichte, die „20 Geigen auf St. Pauli“ erzählt: Konflikte gibt es fast keine, und wenn, dann werden sie von weitsichtigen Menschen auf sympathische Weise gelöst. Der Blick durch die rosarote Brille ist unterkomplex, aber das verzeiht man diesem Film: Es gibt nicht viele ernstzunehmende Feelgood-Movies über den Stadtteil St. Pauli. Dieses ist einer.

30. 9., 19 Uhr, Abaton 1. 10., 17.30 Uhr, 3001