Neues Album von Meshell Ndegeocello : Forschungen für Eleganz

Sie liebt Punk und HipHop und hat sich mit üppigen Grooves einen Namen gemacht. Das Album "Weather" der US-Musikerin Meshell Ndegeocello ist ein Neubeginn.

Neues Leben, neue Songs, neue Erkenntnisse: Meshell Ndegeocello. Bild: Charlie Gross

Alle reden vom Wetter. Meshell Ndegeocello tut das auch. "Mein Seelenzustand ändert sich mit jeder Wetterlage. Es gibt unzählige emotionale Großwetterlagen, von herzerwärmend bis eiskalt. Für mich ist Wetter weniger banal als eine poetische Metapher. Sie meint viele verschiedene Dinge zu unterschiedlichen Zeiten."

Gut, dass der Titel von Meshell Ndegeocellos neuem Album "Weather" geklärt ist. So kann man auf Grundsätzliches zu sprechen kommen, die angenehme Trägheit der Songs ihres neuen Albums. Und die sind alles andere als wetterfühlig.

Beim bloßen Gedanken an Balladen erschaudert Meshell Ndegeocello beim Interview schon. "Weil man jeden Fehler beim Spielen von Balladen sofort erkennt. Als Musikerin habe ich unendliche Geduld und Selbstvertrauen aufbringen müssen, um mir Balladen zuzutrauen. Ist ein Song laut und aggressiv, kann man sich stets hinter der Fassade seines Pulses verbergen, bei Balladen funktioniert das nicht."

Meshell Ndegeocello spricht sachlich über die künstlerische Vision und die Problemstellungen, die ihrem neuen Album "Weather" zugrunde liegen. Für die Aufnahmen hat sie zum ersten Mal in ihrer Karriere auf den Modus einer Singer-Songwriterin geschaltet.

"Weather" ist ein sparsam instrumentiertes Album geworden. "Ich nehme mich zurück", sagt Ndegeocello, "sonst haben meine Hörer nichts mehr, wonach sie sich sehnen können." Ungewöhnlich für eine Künstlerin, die einmal als Epizentrum von üppigen Grooves und afroamerikanisch konnotierter Powermusik galt; für die einzige Frau, die es je auf das Cover des größten US-Muckerfachblatts geschafft hat; und die erste Künstlerin, die von Madonnas Label Maverick unter Vertrag genommen wurde.

Maverick ist inzwischen bankrott, und die USA der vergangenen Jahre hat Ndegeocello einmal als "postrassistisch" bezeichnet. Inzwischen hat auch ihre eigene Musik viele Bezüge zur afroamerikanischen Kultur gekappt; sie geht viel freier mit ihren Einflüssen um als früher, mischt sie stärker. Auf die Frage, was sie von ihrem Helden Prince unterscheide, antwortet sie lakonisch. "Anders als ihn behindert mich kein religiöses Dogma."

Popmusiker zu finden, die reflektiert, aber sachlich über ihre Raison d'être sprechen, ist das eine. Das andere ist, die 43-jährige Ndegeocello spricht druckreif. Wenn sie Auskunft gibt, dann scheint eine Wissenschaftlerin zu sprechen, die neue Forschungserkenntnisse durchaus selbstkritisch erläutert.

Diese Coolness kommt ohne Ausrufezeichen daher, sie schafft Distanz. Sie überträgt sich wiederum auf ihre Musik. Dass auch das wieder Inszenierung ist, so what. Denn alle von ihren 13 neuen, in getragenem Tempo vorgetragenen Songs entwickeln beim Hören einen unwiderstehlichen Sog. Die Eleganz dieser Behaglichkeit krabbelt zu einem unter die Decke, und dann bleibt sie einfach da, für länger.

Ndegeocello hat sich der Form der Ballade auch deshalb gewidmet, weil sie der Überschallgeschwindigkeit des Alltags etwas entgegensetzen will. "Weather" ist ein Bruch mit ihrer Vergangenheit. Aufgewachsen ist sie als Michelle Johnson in Washington D. C., unter chaotischen Lebensumständen, wie sie sagt.

Ihr Herz verloren hat Ndegeocello erst an Punk, dann an New York. Sie erinnert sich gern an das Turbulente dort. "Ein Ort, an dem Künstler kreativ dabei waren, sich künstlerisch weiterzuentwickeln - auch solche, die niemand kannte. Heute ist es nur noch ultrabourgeois, die Low-Budget-Version, die ich schätzte, existiert nicht mehr." Sie covert Cohens "Chelsea Hotel", ihre zeitweilige Heimat. Und sie besingt in dem Song "Objects in mirror are closer than they appear" ihren Abschied vom Big Apple.

Entfremdet hat sich Ndegeocello auch von der sie prägenden HipHop-Kultur. Es sei schwer, als Schwarze zu verstehen, dass Kriminalität, wie sie sich in den Vorstellungswelten von HipHop zeigt, auch noch in der Ära Obama als etwas Befreiendes empfunden wird. "Ich wünschte, Maskulinität würde sich vielfältiger zeigen."

Mit ihrer Lebensgefährtin und der gemeinsamen kleinen Tochter hat Meshell Ndegeocello ihre Zelte in der Kleinstadt Hudson aufgeschlagen. "Ich lebe mitten im Wald. Mein neues Leben ist in einen gemächlicheren Gang geschaltet, er versorgt mich mit neuer Energie. Diese Energie möchte ich wieder zurück in die Gesellschaft speisen."

Die neue Energie zeigt sich in den Balladen, die formstreng sind und der Gefahr des Hochemotionalen schon strukturell begegnen. "Ich muss mich beim Singen viel mehr auf die nackte Stimme konzentrieren, sie steht im Vordergrund. Das gefällt mir, denn gleichzeitig löst sich die Sprache in den Songs in ihre Einzelheiten auf. Es geht darum, mit wenigen Worten alles zu sagen. Es geht auch darum, Gefühle zu kommunizieren, ohne dass Worte verständlich werden. Man weiß nicht, was ich sage, aber es lässt sich fühlen. Das war diesmal meine Methode, die Stimme als Instrument einzusetzen, nicht als Nebelhorn."

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